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Nah dran? Eltern und Kinder sollen bei der Wahl ihrer Schule künftig weniger frei sein, denn lediglich die Wohnortnähe soll zählen.

© Sebastian Gollnow/dpa

Bildung in Brandenburg: Gesamtschulen: Talent zählt nicht viel bei Aufnahme

Vergangenen Herbst mahnte das Verwaltungsgericht Potsdam das Bildungsministerium, weil das Schulgesetz zu schwammig formuliert sei. Nun sollen bei der Aufnahme an Gesamtschulen  besondere Gründe wie spezielle Neigungen des Kindes kaum noch eine Rolle spielen.

Potsdam - Für Brandenburger Eltern, die ihre Kinder bis zum 11. Februar für eine weiterführende Schule anmelden müssen, dürften diese Sätze auf der Homepage des Bildungsministeriums wie Hohn klingen. „Der Wechsel eines Kindes von der Grundschule (am Ende der Jahrgangsstufe 6) in eine weiterführende Schule ist ein bedeutendes Ereignis, da die richtige Wahl einer weiterführenden Schule für die individuelle Entwicklung eines jeden einzelnen Kindes wichtig ist“, heißt es da. „Dieser Entscheidungsprozess ist häufig mit einer Vielzahl von Fragen verbunden, um abschließend eine Schule zu finden, in der sich das Kind wohlfühlt und zugleich entsprechend seiner Individualität gefördert und gefordert wird.“ Mitten im laufenden Ü7-Verfahren kommt nun heraus: Die Individualität und Neigung des Kindes spielt für die Aufnahme an einer Gesamtschule keine Rolle mehr. Bis auf Weiteres gilt – bis auf wenige Ausnahmen – nur noch die Wohnortnähe als Aufnahmekriterium, wie das von Britta Ernst (SPD) geführte Bildungsministerium auf PNN-Anfrage bestätigt.

Auslöser war ein Fall in Kleinmachnow

Hintergrund ist ein wegweisender Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam zu einem Fall in Kleinmachnow, über den die PNN im November berichteten. Ein Schüler, der nahe der staatlichen Maxim-Gorki-Gesamtschule wohnt und trotzdem abgelehnt wurde, hatte sich den Platz juristisch erstritten. Das Gericht hatte die Schule in einem Eilverfahren verpflichtet, den Schüler in die siebte Jahrgangsstufe aufzunehmen. Die Schulleiterin hatte den Aufnahmeantrag zuvor aus Kapazitätsgründen abgelehnt. Sie hatte 23 Schüler aus besonderen Gründen angenommen, erst die weitere Aufnahme von Schülern erfolgte dann nach dem Prinzip Wohnortnähe. Als besondere Gründe sah die Schulleiterin eine spezielle Eignung im Hinblick auf das Sportprofil der Schule an. Zudem bekamen zehn Schülerinnen einen Platz, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen herzustellen.

Nennung der Gründe in einer Verordnung reicht nicht aus

Das Gericht erachtete diese Auswahlentscheidung als rechtswidrig – und zwar allein deshalb, weil das Brandenburgische Schulgesetz aus juristischer Sicht nicht präzise genug formuliert ist. Im Schulgesetz werden zwar „besondere Gründe“ als Auswahlkriterium genannt, diese aber nicht näher formuliert. Nach Auffassung der Verwaltungsrichter ist es auch nicht ausreichend, dass der besondere Grund in der Sekundarstufen-I-Verordnung explizit ausgewiesen wird. In der Verordnung werden als besondere Aufnahmegründe genannt: individuelle Voraussetzungen des Schülers, die dem Profil der Schule besonders entsprechen und an einer anderen Schule nicht entsprechend gefördert werden könnten, Geschwisterkinder, die bereits die Schule besuchen, und die Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Mädchen und Jungen.

Ministerium will weitere Rechtsstreitigkeiten vermeiden

„Zur Vermeidung von weiteren Rechtsstreitigkeiten und zur Schaffung einer Rechtssicherheit für Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern“ werde das Ministerium eine Änderung des entsprechenden Paragrafen 53 im Schulgesetz vorbereiten, erklärt Sprecher Ralph Kotsch. Bis zu einer entsprechenden Änderung seien die Schulleiter durch ein Schreiben darauf hingewiesen worden, dass ein besonderer Grund, wie er in der Sekundarstufen-Verordnung aufgeführt ist, „nur in wenigen Fällen anzuwenden ist“.

Zählt auf Dauer nur noch die Wortortnähe?

Das heißt aber nicht, dass nach der Schulgesetzänderung die freie Schulwahl wieder gewährleistet ist. Es sei zu entscheiden, ob besondere Gründe überhaupt noch als ein Auswahlkriterium bei der Aufnahmeentscheidung zugelassen werden, oder ob sich das Verfahren ausschließlich auf das Kriterium der Wohnortnähe ausrichte, so Kotsch. Die Praxis habe gezeigt, dass – anders als durch das Ministerium intendiert – die besonderen Gründe als vorrangiges Auswahlkriterium „nicht ausreichend restriktiv“ angewendet wurden. Das heißt im Umkehrschluss: Aus Sicht des Ministeriums wurden zu viele abgewiesen, obwohl sie unweit der Schule wohnen. Grundsätzlich erfolge die Aufnahme an Gesamtschulen zu zwei Dritteln der Aufnahmekapazität nach Nähe der Wohnung und besonderen Härtefällen. Bis zu 50 Prozent dieser Aufnahmekapazität konnte bisher nach einem besonderen Grund vergeben werden. Gymnasien sind nicht betroffen. Bei ihnen erfolgt die Aufnahme nach Fähigkeit, Leistung und Neigung.

Verunsicherung bei den Eltern

Bei den Eltern sorgt der ganze Vorgang für große Unsicherheit und Unverständnis – zumal sie erst sehr spät und dann auch nicht umfassend informiert wurden, wie eine Mutter aus Babelsberg, die anonym bleiben möchte, berichtet. Über eine Mail von Elternvertretern habe sie am Wochenende überhaupt erst erfahren, dass sich zum neuen Schuljahr die Aufnahmekriterien ändern sollen. Als sie sich telefonisch beim Ministerium nähere Auskünfte holen wollte, sei sie von einem Mitarbeiter zum anderen verwiesen worden – und habe am Ende niemanden sprechen können.

Ihre Tochter wollte sich für die Kunstklasse an der Voltaire-Gesamtschule bewerben, da sie sehr kreativ sei. Nun habe sie keine Hoffnung, dass ihre Tochter mit Wohnort Babelsberg an der Wunschschule in der Innenstadt aufgenommen wird. Wenn das Wohnortprinzip gilt, müsste ihre Tochter auf eine Schule gehen, deren Profil aber den Neigungen des Kindes nicht entspreche. „Für uns bleibt dann nur, es an einer Privatschule zu versuchen“, sagt die Mutter. Die Art des Vorgehens und der späte Zeitpunkt der Information seien aus ihrer Sicht „skandalös“. „Kurz bevor man sein Kreuzchen bei der weiterführenden Schule machen soll, erfährt man erst davon. Das geht gar nicht“, sagt sie.

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