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Dramatisches Fehlurteil. Der Präsident des Landesverfassungsgerichtes, Jes Möller, bei der Jahrespressekonferenz in Potsdam. Er würde das Urteil zu den Altanschließern wieder so fällen.

© Ralf Hirschberger/dpa

Bilanz des Landesverfassungsgerichts Brandenburg: In schlechter Verfassung

Karlsruhe kippte Brandenburgs Altanschließer-Praxis und korrigierte mit dem Urteil auch das Landesverfassungsgericht. Gesteht das höchste Gericht Brandenburgs seinen Fehler ein?

Potsdam - Das Urteil spricht er nicht von sich aus an. Mittwochmorgen, Landesverfassungsgericht in Potsdam, die Jahrespressekonferenz. Umso ausführlicher berichtet Präsident Jes Möller vom „sprunghaften Anstieg“ der Verfahren, die 2015 das höchste Gericht des Landes in Atem gehalten haben, 118 neue Verfahren. „So viele wie nie seit Gründung des Gerichtes“, ein Jahr vorher seien es noch 68 gewesen. „Das zeigt, dass das Verfassungsgericht respektiert wird.“ Es seien meist „typische Durchschnittsfälle“ gewesen, Beschwerden von Brandenburgern wie die eines Handwerksmeisters. Dem hat das Verfassungsgericht jüngst Recht gegeben, auch Jahre später noch eine offene Rechnung von 59,09 Euro eintreiben zu dürfen, womit es eine Entscheidung des Amtsgerichtes Nauen aufhob. Das habe in seinem Urteil versucht, „einen früheren Fehler auszumerzen und dabei einen nächsten gemacht“, sagt Möller. „Es war eine gescheiterte Fehlerkorrektur.“ Das sind, ungewollt, sehr treffende Sätze.

Denn die Jahrespressekonferenz Möllers ist anders als frühere. Das hat auch mit einer gescheiterten Fehlerkorrektur zu tun, nämlich mit einem dramatischen Fehlurteil des Landesverfassungsgerichtes selbst. Gerade ein paar Wochen ist es her, seit das Bundesverfassungsgericht die rückwirkende Erhebung von Anschlussbeiträgen für Altanschließer als Verstoß gegen das Grundgesetz kippte. Karlsruhe korrigierte damit alle Brandenburger Institutionen, Regierung, Landtag, Justiz, und: das Verfassungsgericht.

Urteil zu DDR-Altanschließern: Es geht um viel

Es geht also um viel. Um Reputation. Um hunderte Millionen Euro. Um immerhin einhunderttausend Betroffene, deren Grundstücke bereits vor 1989 an die Kanalisation angeschlossen waren. Trotzdem durften die Altanschließer nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg (OVG) aus dem Jahr 2008 und einem in der Folge 2009 verabschiedeten Gesetz des Landtages – erarbeitet durch die damaligen Koalitionsfraktionen von SPD und CDU – an den Kosten für in den 90er Jahren errichtete Klärwerke und Überlandleitungen beteiligt werden. Eineinhalb Jahrzehnte danach erhielten und erhalten sie Zahlungsbescheide über teils zehntausende Euro. Dabei gab es Mahnende. So hatte bei der Anhörung im Landtag 2009 ein Ex-Bundesverfassungsrichter explizit gewanrt vor einer „Zeitbombe, die juristisch hochgehen kann.“ Freilich, ein anderer Experte sah in in dieser Anhörung „keine verfassungsrechtlichen Bedenken“. Der Mann war später Landesverfassungsrichter geworden. Er war dann Berichterstatter im Altanschließerverfahren, in dem das Verfassungsgericht unter Vorsitz von Möller 2012 das rückwirkende Abkassieren für rechtens erklärte.

Wie geht der Verfassungsgerichtspräsident nach Karlsruhe mit dem eigenen Urteil von damals um? „Ich kann nur sagen: Ich würde jeden Satz, jedes Wort noch einmal so schreiben. Ich stehe zu jedem Satz, zu jedem Wort, das wir geschrieben haben“, antwortet Möller. Beschädigt das Karlsruher Urteil den Ruf des Landesverfassungsgerichtes? „Das kann ich nicht so sehen. Es ist die Verfasstheit der Gerichtsbarkeit in Deutschland. Es gibt das Bundesverfassungsgericht. Das schützt das Grundgesetz. Und das Landesverfassungsgericht schützt die Landesverfassung.“ Das müsse nicht in jedem Fall deckungsgleich sein. Es sei auch „nichts furchtbar Neues, das unterschiedliche Gerichte unterschiedlich entscheiden“. Ja, es ist ungewohnt für Brandenburgs höchsten Richter sich zu rechtfertigen. Das fällt ihm schwer. Das spürt man mit jeder Antwort mehr. Kann das Landesverfassungsgericht irren? „Alle Gerichte können irren, natürlich, selbstverständlich. Das ist gerade der theoretische Ansatz der Verfassungsgerichte. Weil alle Gerichte irren können, wollen wir den Mindeststandard der Verfassung gewährleistet haben. Deshalb gibt es ja Verfassungsgerichte.“ Aber wie verträgt sich das damit, dass er das Altanschließer-Urteil wieder so fällen würde? „Weil wir von unserer Entscheidung überzeugt sind.“ Man habe die ja sehr sorgfältig abgewogen. Und das Recht sei ja nicht aus einem Automaten abzuleiten. „Wir haben keine Maschine, wo man etwas rein gibt, und dann kommt die Entscheidung raus.“ Löst das Karlsruher Urteil da kein Nachdenken aus? „Natürlich muss man eigene Entscheidungen kritisch hinterfragen, klar.“ Trotzdem, Möller bleibt dabei. „Ich würde die Entscheidung noch einmal genauso schreiben.“ Und nicht nur das. Er sagt Sätze wie diese: Entschieden habe „eine Kammer“ des Bundesverfassungsgerichtes, „kein Senat“. Also die niedrigere Ebene. Und: „Es gibt keinen Grundsatz, dass Karlsruhe immer Recht hat. Im Bundesverfassungsgerichtsgesetz steht nicht: Das Bundesverfassungsgericht ist nie zu hinterfragen und hat immer das letzte Wort.“ Trotzdem gilt das Karlsruher Urteil nun für Brandenburg. Auch Möller sagt: „Wenn Rom entschieden hat, hat Rom entschieden.“ Und dennoch hadert da einer mit seinem Rom.

Neue Entscheidungen stehen für das Landesverfassungsgericht an

Schon stehen neue Entscheidungen an, die das Verfassungsgericht treffen muss – brisante. Da liegt eine Verfassungsbeschwerde der AfD-Landtagsfraktion, deren Kandidat für die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) zur Überwachung des Verfassungsschutzes mehrfach vom Landtag nicht gewählt wurde, wegen brauner Flecken in der Vita. Verhandelt wird am 19. Februar. Da ist die Klage der Freien Wähler im Landtag, wegen systematischer Benachteiligung durch das Parlament.

Und das Verfassungsgericht und sein Präsident Jes Möller werden wohl noch 2016 über die Klage der CDU-Landtagsfraktion und eines Professors gegen die Zwangsfusion der BTU Cottbus mit der Fachhochschule Senftenberg entscheiden, die erfolgt ist, um die es ruhig geworden ist. Aber auch hier gibt es ein Urteil aus Karlsruhe, diesmal allerdings vorher. Das Bundesverfassungsgericht hat die Fusion für grundgesetzkonform erklärt. Doch in Brandenburgs Verfassung gibt es auch den Artikel 32, der den Hochschulen ein stärkeres Selbstverwaltungsrecht einräumt als das Grundgesetz.

„Wir haben da eine Entscheidung aus Karlsruhe. Die nehmen wir interessiert zur Kenntnis“, sagt Möller. „Aber Karlsruhe ist Karlsruhe. Und Potsdam ist Potsdam.“

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