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Zuversichtliche Union. Der kommissarische CDU-Parteichef  Michael Stübgen (M.) ist optimistisch,  dass SPD, Grüne und CDU zu einem „Kenia“-Bündnis zusammenfinden. Foto: Sören Stache/dpa

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Update

Brandenburg: Beziehungsstatus: Kompliziert

Seit zwei Wochen wird sondiert, nun wird das Finale verschoben. Von den Grünen hängt ab, ob in Brandenburg „Kenia“ oder Rot-Grün-Rot regieren wird. Es geht dabei längst auch darum, wie stark oder schwach der künftige Ministerpräsident sein wird.

Potsdam - Eigentlich sollte der heutige Dienstag der Tag werden, an dem die Farben der neuen Regierung für Brandenburg klar sind. Doch daraus wird nichts. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) musste Montagnacht mitteilen, dass die SPD am Dienstag noch keine Entscheidung treffen kann, mit wem nach zweiwöchigen Sondierungen nun Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden. Eigentlich hatte die SPD am Abend  zu einem „Kleinen Parteitag“ von Landesvorstand, Landtagsfraktion und Landesausschuss mit über einhundert Genossen aus dem ganzen Land ins Alte Rathaus in Potsdam geladen. Die Einladungen waren raus. Nun wird alles verlegt. Ehe Woidke, Grünen-Verhandlungsführerin Ursula Nonnemacher und der kommissarische CDU-Parteichef Michael Stübgen um 23:30 Uhr im Regine-Hildebrandt-Haus vor die Presse traten, hatten SPD, CDU  und Grüne sechs Stunden für ein mögliche Kenia-Bündnis sondiert. Erneut sondiert. Man könne zwar sagen, dass man schon Fundamente eines möglichen Koalitionsvertrages beraten habe, "wenn er den kommt", sagte Woidke. "Wir sind aber mit den Sondierungen noch nicht durch. Wir werden denn Mittwoch noch brauchen." Man sei sehr in die Tiefe gegangen, brauche daher noch für andere Themen, sagte Nonnemacher. Am Mittwoch werde in beiden Szenarien sondiert, Kenia und Rot-Grün-Rot. Nein, keine Beispiele, wo es knirscht. Keine Details. Und wann wird es nun soweit sein? "Wir sind optimistisch noch in dieser Woche die Entscheidung treffen zu können", sagte Woidke.  

Nicht vor Mittwoch also. Nun ist der "Kleine Parteitag" der Soziademokraten auf Donnerstag verlegt. Der Fahrplan der Grünen. Selbst solche Termine, das ist eine neue Erfahrung für die in Brandenburg seit 29 Jahren regierende SPD, liegen nicht mehr allein in ihrer Hand. Die Entscheidung über das künftige Dreierbündnis hängt maßgeblich von den Grünen ab, ohne die trotz deren 10,8-Prozent-Wahlergebniss bei dieser Regierungsbildung nichts mehr geht. Oder vielleicht doch?

Schon vor der Kenia-Sondierungsrunde hatte Woidke vorgebaut, dass es so kommen könnte. „Wir werden den Landesvorstand auf alle Fälle unterrichten, wie weit wir gekommen sind."

Nach der Landtagswahl am 1.September, bei der die seit zehn Jahren im Land regierende rot-rote Koalition abgewählt worden war, wäre entweder eine Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen mit sechs Stimmen Mehrheit möglich oder ein rot-grün-rotes Bündnis mit einer Stimme Mehrheit. In den Sondierungen haben die Grünen bisher Rot-Grün-Rot favorisiert. Die Grünen wären in beiden Szenarien am Kabinettstisch, weshalb sie eine starke Verhandlungsposition haben. Die größten Konflikte in den Sondierungen gab es – unabhängig von der Koalitionsfrage – zwischen SPD und Grünen, weil die inhaltlichen, aber auch kulturellen Gräben tief sind; ob in Energie-, Landwirtschafts- oder Flüchtlingspolitik.

Vor der „Kenia“-Sondierung am Montagabend legte Grünen-Verhandlungsführerin Ursula Nonnemacher allerdings Wert darauf, eine öffentliche rot-rot-grüne Vorfestlegung zu vermeiden. "Wir haben immer gesagt, dass es in unserer Partei eine Neigung in diese Richtung gibt. Aber wir verhandeln ernsthaft, wir machen hier keine Pseudoverhandlungen“, sagte Nonnemacher.

Die Grünen-Fraktion hatte sich am Montagvormittag zu einer Klausur auf den Potsdamer Telegrafenberg zurückgezogen. Am Sonntagabend hatten in der SPD-Parteizentrale SPD, Linke und Grüne über ein etwaiges rot-grün-rotes Bündnis verhandelt, deutlich länger als geplant, fünfeinhalb Stunden, in denen in dieser Konstellation noch keine Einigung erzielt wurde, vieles offen geblieben war. Vor allem zwischen SPD und Grünen hatte es oft gehakt. Ein Streitpunkt ist eine eigene Abschiebehaftanstalt Brandenburgs, die die Grünen und die Linken bislang strikt ablehnen, die aber von der SPD und der CDU ebenso klar gefordert wird. Bei den Grünen und bei den Linken waren nach dieser Mammut-Sondierung Frust und Ernüchterung über das Agieren der SPD eher gewachsen.

Auch vor diesem Hintergrund tun sich die Grünen weiterin schwer mit einer Entscheidung. Schon vor der „Kenia“-Sondierung am Montagabend hatte Nonnemacher klargemacht, dass die Grünen noch abwägen müssen. „Wir wollen uns für die Entscheidung noch zwei, drei Tage mehr Zeit lassen.“ Zudem verwies Nonnemacher darauf, dass die Sondierungen zum Teil schon sehr in die Tiefe gehen. „Wir sind schon auf dem Niveau von Koalitionsverhandlungen, wo auch schon vieles ausformuliert und vorgeschärft wird.“ Und so kam es dann auch.

Auf der anderen Seite äußerte sich CDU-Verhandlungsführer Michael Stübgen am Montag zuversichtlich, dass ein „Kenia“-Bündnis zustande kommen kann. „Ich mache mir keine großen Sorgen, dass wir nicht zueinander finden könnten.“ Sein Gefühl, dass es etwas werden könne, habe sich „deutlich verbessert“. Stübgen verwies darauf, dass „Kenia“ mit seiner Landtagsmehrheit nicht nur eine stabile Koalition wäre, sondern auch die Stimmung im Land aufnehmen würde. „Wenn es SPD, CDU und Grüne schaffen, zusammenzukommen, dann haben wir eine Schnittmenge, die die Gesellschaft weitgehend erwartet“, sagte der kommissarische CDU-Chef unter Verweis auf die veränderte Parteienlandschaft. „Ich glaube, das ist eine Chance.“ Die CDU war mit einem eigenen Papier in die Sondierung gegangen.

Und wenn die Gräben zwischen Woidke, der SPD und den Grünen doch nicht überbrückbar sind? Es gäbe zumindest auch die Möglichkeit, dass Woidke zunächst mit einer SPD/CDU-Minderheitsregierung startet, sich im Landtag direkt zur Wahl als Ministerpräsident stellt – mit einem Risiko, aber denn guten Erfolgsaussichten, da neben SPD und CDU auch Freie Wähler, Linke und Teile der AfD kein Interesse an vorgezogenen Neuwahlen haben. Als gewählter Ministerpräsident könnte er aus einer anderen Position heraus Koalitionsverhandlungen mit den Grünen führen.

Nichts scheint derzeit unmöglich in Brandenburg.

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