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Betrugsverfahren gegen Ex-Landtagsabgeordneten: Politisches Gemetzel mit den Mitteln des Rechts?

Der Linke-Politiker Peer Jürgens soll sich 87000 Euro erschlichen haben - durch die falsche Abrechnung einer Fahrkostenpauschale. Doch die Betrugsanklage gegen ihn wirft Fragen auf – auch an die Justiz.

Potsdam - Bei diesem Verfahren lief es von Beginn an nicht rund, das könnte sich später noch rächen. Auf den ersten Blick scheint die Lage eindeutig: Raffgieriger Politiker verschafft sich durch Betrug Vorteile, von denen Otto-Normal-Verbraucher nur träumen können. Auf den zweiten Blick fallen einige Ungereimtheiten auf, bei denen die Justiz schlecht dasteht und die die grundsätzliche Frage nach den Rechten von Parlamentsabgeordneten und dem Landtag selbst berühren.

Es geht um Peer Jürgens, bis Herbst 2014 Landtagsabgeordneter der Partei Die Linke, seither Fraktionsreferent. Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat – wie berichtet – nun Anklage gegen ihn vor dem Amtsgericht Potsdam erhoben. Darin wird ihm gewerbsmäßiger Betrug in zwei Fällen und Wahlfälschung vorgeworfen. Er soll seit 2004 und über zehn Jahre lang durch falsche Angaben zu seinem Hauptwohnsitz knapp 87 000 Euro zu Unrecht vom Landtag kassiert haben. Es geht um 69 700 Euro Fahrtkosten und 17 000 Euro an Zuschüssen für einen Zweitwohnsitz, nebenbei auch noch Wahlfälschung bei der Kommunalwahl 2014 für den Kreistag Oder-Spree.

Erkner, Beeskow, Berlin-Friedenau, Potsdam

Laut Anklage soll er seit 2004, als er erstmals in den Landtag einzog, zunächst Erkner und dann Beeskow als Hauptwohnsitz angegeben haben, obwohl er hauptsächlich zunächst in Berlin-Friedenau und dann in Potsdam gewohnt haben soll. Seit Dezember 2009 habe er eine Eigentumswohnung in der Landeshauptstadt gehabt. Erst 2012 habe er dies gegenüber dem Landtag angezeigt. Der dritte Anklagepunkt betrifft Wahlfälschung bei der Kreistagswahl 2014, bei der er nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht hätte antreten dürfen, weil sein Lebensmittelpunkt Potsdam gewesen sei.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam legt es im Fall Jürgens auf einen öffentlichen Prozess an. Jegliches Angebot – Einstellung gegen Geldzahlung oder Strafbefehl, also eine Verurteilung ohne Prozess – lehnte die Behörde ab. Nur ist das verhältnismäßig? Es gibt einen vergleichbaren Fall: Gegen den CDU-Landtagsabgeordneten Danny Eichelbaum waren die Betrugs-Ermittlungen Anfang 2014 gegen Zahlung einer Geldauflage von 20 000 Euro eingestellt worden.

Er soll mit falschen Angaben zu seinem Hauptwohnsitz überhöhte Fahrtkostenpauschalen des Landtags in Höhe von 20 305 Euro in Anspruch genommen haben – er gab Jüterbog als Hauptwohnsitz an, wohnte aber in Potsdam. Eichelbaum zahlte neben der Geldauflage auch den Schaden an den Landtag zurück – insgesamt also 40 000 Euro. Bei dem Verfahren war Eichelbaum zugutegehalten worden, dass es damals im Landtag keine Kontrollen zur Angabe der Wohnsitze von Abgeordneten gab und die Praxis lax war. Die wurde mit dem neuen Abgeordnetengesetz verschärft. Nun müssen die Parlamentarier jede Fahrt einzeln aufzeichnen und abrechnen.

Hinweis von Ex-Landtagsabgeordneter 

Bei Jürgens waren die Ermittlungen Ende 2012 schon einmal eingestellt worden, dann aber am 19. Mai 2014 wieder aufgenommen worden. Der Grund: Die zunächst anonyme Hinweisgeberin wollte sich mit der Verfahrenseinstellung nicht begnügen und meldete sich erneut bei den Ermittlern – diesmal persönlich. Es war die damalige Landtagsabgeordnete Sabine Niels (Grüne). Ihre Motivation für die Aussage war laut Aktenlage: Eine Mitarbeiterin der Linken, vor Intrigen, an denen Jürgens beteiligt gewesen sei, zu schützen. Am 21. Mai erteilte der Landtag – wie zur Klärung des Anfangsverdachts erbeten – Auskunft an die Staatsanwaltschaft über Jürgens Angaben zu seinem Wohnort und gezahlten Fahrtkostenpauschalen. Am 27. Mai gestattete das Amtsgericht Potsdam per Beschluss der Staatsanwaltschaft, Jürgens Wohn- und Geschäftsräume zu durchsuchen, was die Ermittler dann Mitte Juni auch taten.

Jürgens legte Beschwerde ein, die 5. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam entschied Anfang September 2014, dass die Durchsuchung rechtswidrig und unverhältnismäßig war. Allein dieser Beschluss lässt einige Zweifel an den Ermittlungen aufkommen. Zunächst geht es um die Stellung von Landtagsabgeordneten. Immunität haben sie per se nicht mehr, doch wegen ihrer besonderen Stellung kann der Landtag Immunität herstellen. Doch dazu hätte die Staatsanwaltschaft den Landtag über die Razzia zwingend unterrichten müssen, was sie nicht tat. Immerhin ist eine Durchsuchung juristisch keine kleine Nummer, sondern ein schwerer Eingriff in die im Grundgesetz verankerten Persönlichkeitsrechte. Zudem sah das Landgericht die Durchsuchung als äußerst schwerwiegend an, weil dadurch auch die Rechte des Parlaments berührt waren, da die Ausübung eines Landtagsmandats und das Mitglied eines Verfassungsorgans betroffen waren.

Belastungszeugen noch gar nicht vernommen

Das Landgericht diktierte der Staatsanwaltschaft auch genau, was sie hätte unternehmen können und was fehlt in den Ermittlungen. Etwa durch Observation oder die Befragung von Nachbarn, was die Staatsanwaltschaft dann später in großem Umfang auch tat. Besonders problematisch für die Strafkammer war, dass die von Niels angegeben Belastungszeugen noch gar nicht vernommen und ihre Angaben nicht überprüft wurden. In Jürgens Umfeld gibt es bis jetzt größte Zweifel, ob die Staatsanwaltschaft dies bis zur Anklageerhebung überhaupt getan und Zeugen aus der Lokalpolitik in Beeskow und Oder-Spree befragt hat. Denn dort war Jürgens aktiv als Kreistagsabgeordneter und Kreisparteichef der Linken. Dass von seinen politischen Wegbegleitern jemand eine Aussage machte, ist nicht bekannt. Dafür wurden zahlreiche Nachbarn befragt, die etwa gesehen haben, wie er den Müll herunterbringt.

Eine umfangreiche Zeugenbefragung wäre laut Strafkammer besonders wichtig gewesen, weil die Aussage von Niels wenig ergiebig und teilweise spekulativ, inhaltsleer und frei von „Realkennzeichen“ gewesen sei. Nach der Durchsuchung hatte nämlich eine angebliche Belastungszeugin Jürgens entlastet.

Politisch brisant ist der Hinweis der Strafkammer auf die Konstellation des Verfahrens. Denn hier zeigte eine Landtagsabgeordnete einen direkten politischen Konkurrenten im Landtag aus demselben Landkreis ausgerechnet im Vorwahlkampf zur Kreistagswahl 2015 in Oder-Spree an. Zudem wurde dessen Wohnung durchsucht, obwohl nicht geprüft war, wie glaubwürdig die Aussagen waren. Der Fall trifft gewissermaßen das Binnenverhältnis von Landtagsabgeordneten und die Frage, zu welchen Mitteln Strafermittlungsbehörden greifen sollten, wenn sich politische Konkurrenten gegenseitig verdächtigen.

Wo ist der Lebensmittelpunkt?

Dass Jürgens unbeschadet aus der Sache herauskommt, glaubt niemand. Zumindest für einen Teil der Anklage sieht wohl selbst Jürgens kein Entkommen: Schon vor geraumer Zeit hatte er dem Landtag angeboten, 7000 Euro zurückzuzahlen. Es handelt sich um einen Teil des Zweitwohnungszuschusses für die Zeit ab 2009, als er bereits in eine Eigentumswohnung zog. Für die hätte er zwar ebenfalls einen Zuschuss erhalten können, meldete aber weiter seine vorherige Mietwohnung an. Für den Rest stellt sich die grundsätzliche Frage, wo jemand seinen Lebensmittelpunkt hat. Nicht wenige Landtagsabgeordnete haben in Potsdam eine Zweitwohnung, weil sie nach langen Sitzungstagen und -wochen eben nicht mehr nach Hause fahren können. Andererseits sind sie im Wahlkreis tätig, müssen dort für Bürger und ihre Wähler aktiv sein. Ist der Lebensmittelpunkt dort, wo jemand schläft oder wo er sich meistens aufhält? Wenn ein Abgeordneter mehr als die Hälfte der Woche in Potsdam aktiv ist, ist dann dort auch sein Lebensmittelpunkt?

Genauso holprig wie die Ermittlungen dürfte der Start des Verfahrens am Amtsgericht sein. Die zuständige Richterin teilte schon mal vorsorglich mit, dass die Unterschrift ihres Gatten auf einem Antwortschreiben der Landtagsverwaltung zu einem Auskunftsersuchen der Staatsanwaltschaft steht. Die Richterin hätte auch vorsorglich in einer dienstlichen Erklärung ihre Unbefangenheit erklären können. Stattdessen öffnet sie die Türen für Befangenheitsanträge. Ein ungewöhnlicher Vorgang. 

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