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Betrugsvorwürfe. Der frühere Linke-Landtagsabgeordnete Peer Jürgens soll über Jahre unter Vortäuschung eines falschen Wohnsitzes unter anderem Kilometerpauschalen unberechtigt eingestrichen haben. Es geht um einen Schaden von fast 87 000 Euro.

© Bachmann/dpa

Betrugsprozess gegen Linke-Politiker in Brandenburg: Kleiner Pranger, großer Pranger

Im heute beginnenden Betrugsprozess gegen den früheren Linke-Landtagsabgeordneten Jürgens wollte die Staatsanwaltschaft erst einen langen Prozess, dann wieder doch nur einen kurzen. Warum?

Potsdam - Kurz vor dem Start des Betrugsprozesses gegen den früheren Landtagsabgeordneten Peer Jürgens (Linke) am heutigen Dienstag wurde der Staatsanwaltschaft die Sache dann womöglich doch zu heiß. Über das zuständige Schöffengericht am Amtsgericht Potsdam kam das Angebot an den 36-Jährigen, man könne den auf bislang fünf Verhandlungstage angesetzten Prozess abkürzen, wenn Jürgens gleich am ersten Tag ein umfassendes Geständnis ablegt. Dann könne das Urteil auch ohne Vernehmung der zahlreichen Zeugen schnell gesprochen werden, der Fall wäre erledigt.

Der Vorwurf: gewerbsmäßigen Betrug und 86701 Euro aus der Landeskasse

Die Anklage lautet auf gewerbsmäßigen Betrug. Jürgens soll sich in seiner Zeit als Abgeordneter von 2004 bis 2014 Zuschüsse des Landtags für Fahrtkosten und für die Miete zu einer Zweitwohnung in Potsdam in Höhe von insgesamt 86701 Euro erschlichen haben – durch falsche Angaben zu seinem Hauptwohnsitz. Zudem wirft die Anklage dem Linke-Politiker Wahlbetrug vor, weil er zur Kreistagswahl 2014 nicht hätte antreten dürfen, da sein Lebensmittelpunkt schon Potsdam gewesen sei.

Jürgens hatte - wie berichtet - der Staatsanwaltschaft selbst einen Deal angeboten, der durchaus üblich gewesen wäre: Er wollte ein umfassendes Geständnis ablegen, also mehr, als seine Anwälte als Schuld nachweisbar befinden. Er hätte einen Strafbefehl über eine Freiheitsstrafe von einem Jahr akzeptiert und die gesamte Schadenssumme zurückgezahlt – und alles nur, um eine öffentliche Verhandlung und damit den öffentlichen Pranger im Blitzlichtgewitter im Verhandlungssaal zu vermeiden. Denn erledigt ist er ohnehin schon. Aus Potsdam ist er fortgezogen, ob er den Job als Referent bei der Linke-Landtagsfraktion nach dem Verfahren behalten kann, ist fraglich.

In einem ähnlichen Fall ging die Staatsanwaltschaft einen Deal ein

Vorbild für derlei Deals gibt es genug, Jürgens’ Verteidiger hatte die Staatsanwaltschaft auch darauf hingewiesen. Zum Beispiel Danny Eichelbaum. Eichelbaum soll mit falschen Angaben zu seinem Hauptwohnsitz überhöhte Fahrtkostenpauschalen des Landtags in Höhe von 20 305 Euro in Anspruch genommen haben – er gab Jüterbog als Hauptwohnsitz an, wohnte aber in Potsdam. Der CDU-Politiker zahlte neben der Geldauflage auch den Schaden an den Landtag zurück – insgesamt also mehr als 40 000 Euro. Bei dem Verfahren war Eichelbaum zugutegehalten worden, dass es damals im Landtag keine Kontrollen zur Angabe der Wohnsitze von Abgeordneten gab und die Praxis lax war. Ein Schuldeingeständnis lag der Einstellung des Verfahrens bei Eichelbaum allerdings nicht zu Grunde.

Das alles spielte für die Staatsanwaltschaft bei Jürgens keine Rolle. Sie riskiert sogar, dass ein Teil der Anklage für die ersten Jahre in sich zusammenfällt, weil die Taten wegen der absoluten Verjährungsfrist nicht mehr zu verfolgen sind. Seit Herbst 2015 lag die Anklage beim Amtsgericht, bewegt hat sich nichts. Aber es sollte eine Verhandlung geben mit allem Drum und Dran, bei der vor aller Öffentlichkeit das Privatleben des Linke-Politikers ausgeleuchtet, die maximale Prangerwirkung erzielt wird.

Womit wird dem Interesse der Öffentlichkeit an Strafdverfolgung genügt?

Dabei gilt auch für die Justiz gerade bei solchen Delikten eine Vorgabe: Effizienz. Doch warum wurde dann Jürgens' Angebot nicht angenommen, wenn am Ende möglicherweise sogar weniger heraus kommt, als eine Verurteilung zu einem Jahr Freiheitsstrafe, die wohl zur Bewährung ausgesetzt werden dürfte. Wäre dem Interesse der Öffentlichkeit an der Strafverfolgung nicht auch mit Strafbefehl ohne Verhandlung Genüge getan worden? Vor allem, wenn dabei eine höhere Strafe herausgekommen wäre als jetzt in einem öffentlichen Prozess.

Diese Frage zwingt sich auch ohne jede Parteinahme für den Linke-Politiker auf. Es ist auch eine Frage der Gleichbehandlung. Dass Jürgens unbeschadet aus der Sache kommt, glaubt niemand. Dass er Schuld auf sich geladen hat, räumte auch er schon ein. Aber eben nicht alles, was die Anklage ihm vorwirft.

Der Verteidiger bezweifelt Objektivität der Staatsanwaltschaft

Der Linke-Politiker hat schon 7400 Euro an den Landtag zurückgezahlt. Es geht um die Zeit von 2009 bis 2011, als er in Potsdam eine Eigentumswohnung hatte, aber weiter Mietzuschuss kassierte für eine andere Wohnung in Potsdam, in der zuvor wohnte. Der Rest der Jahre und vorgeworfenen Straftaten sind für die Verteidiger strittig.

Jürgens’ Verteidiger Norman Lenz beklagte gegenüber den PNN, dass das Strafverfahren gegen seinen Mandanten von Anfang an an schweren Mängeln leidet. „Wir zweifeln an der Objektivität der Staatsanwaltschaft in diesem Fall. Im Vergleich mit ähnlichen Verfahren ist hier offenbar jedes Augenmaß verloren gegangen“, sagte Lenz. Abgeordnetenrechte seien missachtet worden. Ein Großteil der angeklagten Vorwürfe sei bereits nach Aktenlage nicht haltbar. „Wir sind zuversichtlich, dass die öffentliche Beweisaufnahme dies auch widerspiegeln wird“, sagte der Anwalt.

Aus einer Belastungszeugin wurde eine Entlastungszeugin

Lenz legt es nun trotz des versuchten, teilweisen Rückziehers der Staatsanwaltschaft auf einen kurzen Prozess selbst doch auf eine öffentliche Verhandlung an. Er will die Zeugen hören, die die Staatsanwaltschaft nicht gehört haben soll. Dazu zählt auch eine angebliche Belastungszeugin, benannt von Sabine Niels, bis 2014 Landtagsabgeordneter der Grünen und ebenfalls in Oder-Spree kommunalpolitisch aktiv. Sie hatte Jürgens erst anonym angezeigt. Als das Verfahren zunächst eingestellt worden war, gab es 2014 eine persönliche Anzeige von ihr.

Die Belastungszeugin war Jürgens’ Mitarbeiterin, sie soll ihn sogar entlastet haben. Und dann ist da noch die Entscheidung der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam. Es entschied Anfang September 2014, dass die Durchsuchung bei Jürgens rechtswidrig und unverhältnismäßig war. Das Landgericht sah die Durchsuchung als äußerst schwerwiegend an, weil dadurch auch die Rechte des Parlaments berührt waren, da die Ausübung eines Landtagsmandats und das Mitglied eines Verfassungsorgans betroffen waren. Und das Landgericht hatte wegen ungenügender Beweislast sogar eine Observation empfohlen, um den Verdacht zu prüfen - was offenbar nicht geschah.

Das Gericht wird sich nun darauf einstellen müssen, jeden von der Anklage vorgebrachten Beweis darauf prüfen zu müssen, ob dieser verwertbar ist. Und die Verteidigung wird bislang nicht vernommene Entlastungszeugen benennen. Ob die fünf Verhandlungstage und 33 Zeugen dafür ausreichen? Und: Wie effizient ist das?

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