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Berlin: Alarmstufe Rot bei den Mieten

Wieder ist ein neuer Bericht erschienen zum Berliner Wohnungsmarkt. Dass die Lage immer schlechter wird, leugnet nicht einmal mehr der Senat

Berlin - Die selbst gesteckten Ziele von Rot-Schwarz im Kampf gegen die wachsende Wohnungsnot in Berlin greifen zu kurz. Das Forschungsinstitut Empirica hat ermittelt, dass eine Entspannung des Marktes nur durch den Bau von 10 000 Wohnungen jährlich möglich wäre, 4000 mehr als laut Koalitionsvertrag angestrebt. Und Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) gab bei der Vorstellung des neuesten Berichts über den Wohnungsmarkt der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB) zu, dass die steigenden Mieten einer Entwicklung folgten, die „nicht komplett aufzuhalten“ sei und für die er „keine einfachen und schnellen Lösungen bieten“ könne. Der Marktbericht der IBB bestätigt eine Entwicklung, die bereits ein Report der größten Berliner Wohnungsbaugesellschaft GSW ein Tag zuvor aufgezeigt hatte. Im vergangenen Jahr hatte der neue Mietspiegel bereits den starken Druck auf dem Wohnungsmarkt aufgezeigt. Ähnliche Ergebnisse lieferte vor etwa einem Monat der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen bei der Vorstellung des neuen Marktmonitors. Wer aber steckt hinter den Berichten – und welche Interessen bedienen sie?

WOHNUNGSMARKTBERICHT DER IBB Müller distanziert sich mit seinen Aussagen deutlich von seiner Vorgängerin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Diese hatte eine Wohnungsnot noch vor wenigen Monaten mit dem Hinweis auf knapp 100 000 leerstehende Wohnungen bestritten. Diese These demontiert der neue Marktreport: Die Annahme, dass immer dann eine Wohnung leersteht, wenn kein Stromzähler in Betrieb ist, sei falsch, sagt Staatssekretär Ephraim Gothe. Denn das könne viele Ursachen haben: unbezahlte Rechnungen, Sanierungsmaßnahmen, Umbauten, Zusammenlegungen von Wohnungen oder deren Verkauf. Der Senat geht deshalb inzwischen von nur noch 40 000 bis 45 000 freien, kurzfristig zu vermietenden Wohnungen in der Stadt aus. „Das ist zu wenig für einen gesunden Markt“, sagt Gothe. Die „gefühlte Knappheit“, von der Wohnungssuchende seit Jahren berichten, sei auf ein real schrumpfendes Wohnungsangebot zurückzuführen. Und die Wohnungsnot wächst weiter: Seit rund zehn Jahren entstehen etwa drei Mal mehr neue Haushalte (14 200) jährlich in Berlin als neue Wohnungen gebaut werden (4000). Denn die Hauptstadt zieht immer mehr Menschen an: Die Bevölkerung wuchs um 18 000 Einwohner im Jahr 2010. Die gute Nachricht wird dadurch getrübt, dass dieses Wachstum fast „ausschließlich bei den 20- bis 30-Jährigen“ zu verzeichnen ist. Studenten und Jobeinsteiger sind es also, die in die Stadt kommen und „über 60-Jährige“, wie Müller ergänzte. Den etablierten, gut verdienenden Arbeitnehmern bietet Berlin dagegen zu wenig attraktive Jobs. Die Stadt wächst immer noch langsamer als die Republik im Durchschnitt. Stadtentwicklungssenator Müller sagte, die steigenden Mietpreise müssten „mit allen zur Verfügung stehenden Instrumenten bekämpft werden“. Mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften verhandle der Senat über Details eines „Bündnisses für bezahlbare Mieten“, das Haushalte mit geringen Einkünften von Mieterhöhungen ausnimmt. Im Bundesrat treibe Berlin die Initiative gegen die Abwälzung von zu hohen Kosten für die Modernisierung von Wohnraum auf die Mieten voran. Auch die landeseigenen Grundstücke sollten „nicht mehr ausschließlich“ zum höchsten Preis angeboten werden. Allerdings „hat Berlin nichts zu verschenken“, schränkte Müller ein. Seit zehn Jahren zählt der IBB-Bericht zu den meistdiskutierten Bestandsaufnahmen des Wohnungsmarktes. In der vergangenen Legislaturperiode hatte der knapp hundertseitige Bericht Debatten über dessen Bewertung durch die damalige Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer ausgelöst. Trotz der deutlichen Anzeichen für einen Wohnungsmangel im Zentrum hatte Junge-Reyer von einem weitgehend entspannten Markt gesprochen. Böse Zungen behaupten, dass deshalb die Verfasser des kritischen Berichts ausgetauscht wurden: Empirica übernahm das Ruder von den viel gelobten Regiokontext. Auch beim Herausgeber IBB übernahm ein neuer Sprecher das Ruder: Jens Holtkamp arbeitete zuvor im Zentrum der Macht – als persönlicher Referent des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD). DER MIETSPIEGEL Alle zwei Jahre kommt er heraus – und er ist das große Instrument zur Befriedung des Wohnungsmarktes. Der Mietspiegel, der im vergangen Jahr neu erschien, wird gemeinsam von Mietervertretern sowie Hauseigentümern und Wohnungsverbänden ausgehandelt und gibt die „ortsübliche Vergleichsmiete“ wieder. Da sowohl Preise neu vermieteter Wohnungen in die Durchschnittswerte einfließen wie die Mieten bestehender Verträge, ist er für Wohnungssuchende nur bedingt aussagekräftig: Zur Vergleichsmiete sind nur selten Wohnungen zu haben. Dagegen dient der Mietspiegel zur Begründung von Mieterhöhungen – Autonome schimpfen ihn deshalb auch mal „Mieterhöhungsspiegel“.

WOHNUNGSMARKT-REPORT DER GSW Ausgerechnet eine Wohnungsbaugesellschaft, die das Land Berlin im Jahr 2004 an eine renditehungrige Heuschrecke verkaufte, lässt einen Marktbericht schreiben? Diese Frage musste sich die GSW stellen lassen, als die heute börsennotierte Firma vor acht Jahren ihre Übersicht der „Angebotsmieten“ erstmals vorstellte. Die Kritik saß – und zwang die Forscher zu einer akribischen Auswertung von heute mehr als 100 000 Wohnungsangeboten. Die Stärke des Berichts: Hier erfährt der Wohnungssuchende die Miete, die Hauseigentümer für leerstehende Wohnungen verlangen. Weil der Report keine Mieten bestehender Verträge berücksichtigt und viele Wohnungssuchende um die wenigen freien Wohnungen konkurrieren, liegt die hier vorgestellte „Angebotsmiete“ weit über dem Mietspiegel. Für die GSW hat der Marktbericht einen handfesten wirtschaftlichen Vorzug: Wenn sie eigene Wohnungen teuer vermietet, muss sie nicht erklären, warum sie so viel mehr als im Mietspiegel verlangt: Sie kann mit den Fingern auf andere zeigen, die alle ebenfalls mehr als „ortsüblich“ verlangen, wenn sie eine Wohnung neu vermieten.

BBU-MARKTMONITOR „Wir sind die Guten“ hätte lange Zeit der Wahlspruch des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) sein können, der den „Marktmonitor“ herausgibt. Denn im BBU waren vor allem die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen und die Genossenschaften organisiert – und diese waren per Satzung dem Gemeinwohl verpflichtet. Inzwischen sind auch Private beim BBU organisiert, dessen Mitglieder 40 Prozent aller Mietwohnungen besitzen. Auf diesen gewaltigen Datenbestand können die Forscher zurückgreifen bei der Verfassung ihres Berichtes. Der Report war einer der ersten, der auf die Absurdität hinwies, dass für Sozialwohnungen in Berlin größtenteils mehr Miete bezahlt werden muss als für nicht preisgebundene Wohnungen. Auch die rapide dahinschmelzende Zahl leerstehender Wohnungen hat der Monitor erstmals dokumentiert.

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