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Die Urzeit war kein Ponyhof. Unterkiefer eines Pferdes.

© Landesamt für Denkmalpflege

Brandenburg: Auf den Spuren des Ur-Brandenburgers

Knochensplitter und Steinwerkzeuge: Archäologen entschlüsseln, wie Neandertaler vor 130 000 Jahren in der Niederlausitz lebten

Brandenburg/Havel - Eine karge Tundra-Landschaft, hier und da trotzen ein paar robuste Büsche dem rauen Klima. Festen Schrittes stapft der Neandertaler übers Land, auf der Suche nach seinem nächsten Imbiss. Das Pferd hat keine Chance. Er bekommt es zu packen, mit einem scharfkantigen Kernstein macht der hungrige Homo neanderthalensis dem Leben des Tieres ein Ende. Mit dem Werkzeug zerteilt er die Beute und lässt es sich schmecken. Die Knochen und den Kernstein lässt er liegen.

So oder so ähnlich könnte es sich vor rund 130 000 Jahren in der heutigen Niederlausitz zugetragen haben. Das legen Funde nahe, die Archäologen in einem Braunkohletagebau nahe Cottbus in den vergangenen Jahren geborgen haben. Die Bagger hatten Seeablagerungen aus der letzten Warmzeit, dem Eem, freigelegt. Das Team um Eberhard Bönisch vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie stieß auf alte Jagd- und Schlachtplätze, die eine menschliche Besiedelung der Gegend anzeigen – 100 000 Jahre früher, als bisherige Funde belegten.

Die Grabung im Tagebau Jänschwalde sowie die Analysen der Fundstücke im Labor liefern viele Hinweise, die ein detailliertes Bild von der Landschaft und ihren Bewohnern in der längst vergangenen Zeit entstehen lassen. Eine umfangreiche Dokumentation mit zahlreichen Abbildungen ist jetzt erschienen („Ausgrabungen im Niederlausitzer Braunkohlenrevier“, 366 Seiten, 16,50 Euro).

„Studien belegen, dass sich der Neandertaler vor allem fleischbezogen ernährt hat“, sagt die Paläontologin Annette Kossler von der FU Berlin, die an dem Projekt beteiligt war. „Er zog übers Land und ist den Herden gefolgt, hat aber auch sonst alles mitgenommen, was die Natur zu bieten hatte.“ Dazu zählen etwa Beeren und andere Früchte. Dass und wie der Neandertaler verschiedene Steine als Werkzeug benutzt hat, zeigen bestimmte Schlagmarken.

Der FU-Archäologe Klaus-Peter Welcher hat ein entsprechendes Artefakt näher untersucht und dessen Fertigung und Nutzung genau rekonstruiert. Demnach hatten die Steine auch Fleisch- und Knochenkontakt, wie er in dem Schriftenband darlegt. An einem bestimmten Kernstein liest er eine Modifikation ab, die nach dem Gebrauch vorgenommen wurde. Der Stein wurde zerschlagen. Ob das Zerschlagen auf die Gewinnung kleiner scharfkantiger Abschläge abzielte oder das Reststück passend gemacht werden sollte, sei jedoch unklar, schreibt er.

Die Wissenschaftler interessieren sich neben den Zeugnissen der Jagd vor allem für Klima und Flora der damaligen Zeit. Am Boden des urzeitlichen Sees lagen sehr feine Sedimente, in denen etwa Eichenblätter hervorragend erhalten geblieben sind. Annette Kossler hat vor allem nach Pflanzen und Samen gesucht. „Anhand der Samen kann man die Arten der Pflanzen bestimmen“, sagt sie. „Das vergleicht man mit den heutigen Pflanzen.“ So ließen sich Rückschlüsse auf das damalige Klima ziehen. Im Juli habe die Temperatur bei etwa 15 Grad Celsius gelegen, dreieinhalb Grad weniger als heute. Ob der Neandertaler während der strengen Winter gewandert sei, wisse man nicht genau, sagt sie und macht das Dilemma von Forschern deutlich, die Zusammenhänge in prähistorischer Zeit verstehen wollen: „Wir können bei vielen Dingen nur spekulieren.“ Der größte Fund indes steht noch aus. Knochenreste der Ur-Brandenburger aus jener Zeit wurden bis heute nicht entdeckt. Noch läuft der Braunkohleabbau – vielleicht haben die Forscher Glück. Martin Niewendick

Von den Ausgrabungen in der Lausitz berichten Eberhard Bönisch und Annette Kossler an diesem Mittwoch, dem 6. Mai, im Archäologischen Landesmuseum Brandenburg, Beginn ist um 18.30 Uhr, Eintritt frei.

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