zum Hauptinhalt

Brandenburg: Auf dem Holzweg

Biber haben sich in Brandenburg stark vermehrt. Doch das gefällt nicht jedem. Das Land will zwischen Gegnern und Befürwortern vermitteln. Aber der Bauernbund fordert: „Munition statt Management“

Von Sandra Dassler

Natürlich ist er putzig, sagt Reinhard Jung. Natürlich lieben ihn alle Kinder. Natürlich darf man froh sein, dass er nicht mehr vom Aussterben bedroht ist. Aber muss man deshalb Menschen in Lebensgefahr oder Landwirte in Existenznöte bringen? Oder sie als Kriminelle abstempeln, wenn sie in ihrer Verzweiflung zum Gewehr greifen?

Reinhard Jung ist Biobauer und Geschäftsführer des Bauernbundes Brandenburg – und er spricht vom Biber, dem zweitgrößten Nagetier der Erde, genauer gesagt vom „Castor fiber“, dem Europäischen Biber, der in Deutschland besonders geschützt ist und nicht dem Jagdrecht unterliegt. Das will der Bauernbund ändern. Denn es gibt inzwischen „mindestens zehntausend Biber in Brandenburg“, schätzt Reinhard Jung. Das ist vielleicht etwas übertrieben, aber unbestritten hat sich der Biber-Bestand in der Mark nicht nur erholt, sondern wächst jährlich um zehn bis 20 Prozent. Selbst das Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft (MLUL) geht von 3300 Tieren aus.

„Den Biber gibt es inzwischen in jedem Graben im Land“, sagt Reinhard Jung. „Er vernichtet Bäume, setzt Felder, Wiesen und Keller unter Wasser, unterhöhlt Hochwasser-Deiche, aber auch Straßen. Kurz: Er richtet Schäden in Millionenhöhe an.“

Auch im Ministerium bestreitet das niemand mehr. Dass sich der nahezu ausgerottete Biber wieder stark vermehrt, wird einerseits als Beleg für erfolgreiche Naturschutzarbeit begrüßt, andererseits aber mit Sorge beobachtet. Besonders die „wasserbaulichen Ambitionen“ des auch nach europäischem Naturschutzrecht streng geschützten Großnagers können an den Gewässern und Deichen zu Schäden führen und damit zu Konflikten zwischen Bibern und Landnutzern.

Die Konflikte sind längst da, konstatiert auch Simon Harnisch vom Landesbauernverband Brandenburg. Es liege nun einmal in der Natur des Bibers, Bäume zu fällen oder anzunagen, Gewässer aufzustauen und Wohnhöhlen anzulegen. „Das nimmt ja niemand dem Biber übel“, sagt Biobauer Reinhard Jung. „Nur sollte die Politik über den Schutz der Tiere die Menschen nicht vergessen.“ Dann erzählt er von uralten Eichenbeständen, die dem Biber zum Opfer fallen, von Bauern, die einen großen Teil ihrer landwirtschaftlichen Flächen nicht nutzen können, von unterspülten Straßen und Eisenbahngleisen und von Deichen an der Oder, die durch Biberhöhlen „löchrig wie Schweizer Käse“ geworden sind und im Hochwasserfall sicher nicht mehr halten.

Vor einigen Jahren musste eine große Parkanlage an einer Seniorenresidenz im Osten Brandenburgs gesperrt werden, die von den älteren Menschen gern genutzt wurde. Die Biber hatten alle Bäume so benagt, dass sie umsturzgefährdet waren. Damals versuchte man noch, so genannte Problembiber umzusiedeln – mit großem Aufwand und wenig Erfolg, weil sich in verlassenen Revieren sofort wieder neue Biber ansiedeln.

Inzwischen setzt das Land – wie auch beim Wolf – auf ein aktives Bibermanagement, schließt aber „eine Begrenzung der Ausbreitung“ in bestimmten Landesregionen – notfalls auch durch vermehrtes Abschießen – nicht mehr aus. „Wir werden uns mit den Wasser- und Bodenverbänden verabreden, wo Biber nichts zu suchen haben“, sagte Brandenburgs Agrarminister Jörg Vogelsänger (SPD) vergangene Woche auf dem ersten „Biberforum“ in Potsdam. Mit der von ihm vor einem Jahr erlassenen Biberverordnung sei ein Ausgleich zwischen Interessen von Landwirten und Naturschützern weitgehend gelungen, schätzte er ein. Dennoch würden die Probleme mit der Biber-Population, wie derzeit im Landkreis Märkisch-Oderland, bald auch in anderen Regionen zu beobachten sein.

In Märkisch-Oderland waren im Vorjahr nur zehn Biber geschossen worden – bei einer Population von bis zu 1000 Tieren. Weil die besonders die Be- und Entwässerungssysteme im Oderbruch gefährden, kann der Gewässer- und Deichverband laut Biberverordnung „in Eigenverantwortung den zuständigen Jäger mit dem Abschuss der Nager auch in Schutzgebieten beauftragen, wenn zuvor alle Maßnahmen der Vergrämung wirkungslos geblieben sind“. Dies muss dokumentiert und an die Untere Naturschutzbehörde weitergeleitet werden.

Abschüsse von Bibern sind also nur unter strengsten Auflagen und in der Zeit vom 1. September bis zum 15. März erlaubt. Gerade bei den Landwirten könnten aber viele Schäden auch durch entsprechende Prävention vermieden werden, sagt Udine Schubert, eine der beiden Biberbeauftragten des Landes. „Wir bauen gerade ein Netz aus ehrenamtlichen Biber-Experten auf, um die Bauern zu beraten und bei Konflikten nach Biberschäden vermitteln zu können.“

Bauernbund-Vorstand Marco Hintze hält das nicht für sinnvoll. „Es ist grotesk, mit welchem finanziellen und personellen Aufwand das Ministerium die Biberplage inzwischen verwaltet“, sagt er. „Dieses Problem löst man nicht mit Foren, Beratern und Management, sondern mit Ködern, Fallen und scharfer Munition.“ Die durch Minister Vogelsänger erlassene Biberverordnung habe sich als wirkungslos erwiesen: „Wenn von tausenden Bibern am Ende eines langen bürokratischen Verfahrens dieses Frühjahr ganze zehn getötet werden dürfen, hätte man sich die Mühe auch sparen können.“

Das weist der brandenburgische Landesvorsitzende des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), Friedhelm Schmitz-Jersch, vehement zurück: „Die seit einem Jahr geltende Biberverordnung enthält keinen Schießbefehl für eine geschützte Tierart“, sagt er, „sondern soll in erster Linie der Schadensprävention dienen.“ Bisher seien andere Maßnahmen kaum angewendet worden.

Bedauerlich sei auch, dass die Förderangebote für die Anlage von Gewässerschutz- oder Ackerrandstreifen von Landnutzern nicht nachgefragt würden. „Derartige Pufferzonen wären ein probates Mittel, um Konflikte mit dem Biber zu verringern und zu vermeiden.“

Die Kosten und der Aufwand dafür wären vielen Landwirten zu hoch, kontert der Bauernbund. Wirkungsvoller seien die „vielerorts von der Landbevölkerung ergriffenen Selbsthilfemaßnahmen, die aber weiterhin unter Strafandrohung“ stünden. Deshalb will auch niemand, der gegen Biber vorgeht, namentlich genannt werden. Giftköder seien nicht so wirkungsvoll, erzählt ein Bauer: „Aber ich habe immer eine spitze Mistgabel bei mir, wenn ich am Graben entlanggehe.“

Ganz ungefährlich ist das aber auch nicht. Vor zwei Jahren wurde im weißrussischen Brest ein Angler von einem Biber getötet. Sicher war das ein Einzelfall, denn die vegetarisch lebenden Tiere sind im Normalfall nicht aggressiv. Der Biber hatte sich wohl erschrocken, den Mann plötzlich angesprungen und so kräftig in die Oberschenkelschlagader gebissen, dass er verblutete. Medien berichteten auch, dass sich die Biber in Weißrussland so stark vermehrt hätten, dass sogar Umweltschützer zuletzt vor Problemen für die Natur warnten. Irgendwann ist eben Schluss mit putzig.

Zur Startseite