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Anton Hofreiter.

© Andreas Klaer

Anton Hofreiter über Massentierhaltung und Braunkohle in Brandenburg: „Die Richtung der Politik war falsch“

Der Chef der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, spricht im PNN-Interview über rot-rote Landwirtschaftspolitik, die Besonderheiten im Brandenburger Agrarsektor, zivilen Ungehorsam und die Zukunft der Lausitz.

Von Katharina Wiechers

Herr Hofreiter, in Ihrem Buch widmen Sie sich den negativen Folgen der Massentierhaltung in Deutschland. Hier in Brandenburg feierten Gegner einer solchen Agrarpolitik gerade den Erfolg eines Volksbegehrens, woraufhin die Landesregierung sich zumindest ein Stück weit bewegt hat. Ein historischer Schritt oder Einsicht in die Notwendigkeit?

Das als historischen Schritt zu bezeichnen wäre wohl ein bisschen übertrieben, aber dass die Landesregierung zumindest teilweise eingelenkt hat, war notwendig und richtig. In der Landwirtschaft ist die Politik die letzten zehn Jahre in die falsche Richtung gegangen: Die Bauern verdienen immer weniger, die Ställe werden immer größer, die Güllemenge steigt und die Artenvielfalt ist geringer geworden.

Der politische Weg, den das Land eingeschlagen hat, macht Ihnen also Hoffnung?

Es ist der richtige Weg, mehr war mit dieser Landesregierung nicht drin. Es ist natürlich problematisch, wenn so etwas immer nur durch Druck von außen passiert und keine echte Überzeugung der politisch Verantwortlichen dahintersteckt. Es wäre besser, wenn Brandenburg einen Landwirtschaftsminister hätte, der auch echt überzeugt davon ist, dass auf Regionalität und Qualität gesetzt werden muss. Das Volksbegehren ist aber ein großer politischer Erfolg, weil es eben zeigt, was weite Teile der Bevölkerung sich wünschen.

Was wäre dann für Brandenburg, wo es ja sehr viele Höfe mit Massentierhaltung gibt, die Lösung? Sollten am besten alle auf Bio umstellen?

Bio bleibt ein Ziel, aber gute Standards in allen konventionellen Betrieben sind auch ein Fortschritt. Den Menschen würde beim Einkauf schon eine klarere ehrliche Kennzeichnung von Fleisch helfen, ähnlich wie bei den Eiern. Fleisch und andere tierische Produkte könnte man unterteilen in die Kategorien „Gesetzlicher Mindeststandard“, „Mehr Platz im Stall“, „Auslauf ins Freie“ und „Bio“. Dann können die Leute entscheiden, was sie wählen. Bei den Eiern war eine solche Kennzeichnung ein großer Erfolg. Heute gibt es kaum noch Käfigeier. Außerdem müsste das Geld anders verteilt werden. Momentan wird es fast ausschließlich nach Fläche verteilt, besser wäre eine Vergabe nach qualitativer Leistung wie etwa Tierschutz oder Naturschutz – immerhin geht es um Steuergelder. Gleichzeitig müssten die gesetzlichen Mindeststandards verändert werden, zum Beispiel müsste das Amputieren von Schweineschwänzen verboten werden. Mit diesem Dreiklang würde sich die Landwirtschaft nach und nach in die richtige Richtung bewegen.

All diese Dinge wären ja mit Investitionen verbunden, die die Bauern letztlich an die Verbraucher weitergeben würden – das Fleisch würde also teurer werden. Kritiker befürchten, dass sich der einfache Arbeitnehmer das nicht mehr leisten könnte.

Es gibt ein aktuelles Gutachten vom Wissenschaftlichen Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Daraus geht hervor, dass das Fleisch nur drei bis sechs Prozent mehr kosten würde, wenn man auf anständige Landwirtschaft umstellen würde. Es gibt aber auch Menschen, die schon heute zu wenig Geld haben. Deshalb will ich unter anderem die Hartz-IV- Sätze erhöhen.

Anständig hieße aber noch nicht Bio ...

Nein, wir wollen ja die Standards gerade auch im konventionellen Bereich verändern. Es macht nämlich einen großen Unterschied, ob Tiere zum Beispiel ins Freie dürfen – doch bislang ist das für den Verbraucher gar nicht zu erkennen. Ich finde die Argumentation des Bauernverbandes, die Leute würden immer nur das Billigste kaufen, ziemlich unseriös. Wenn die Kunden wissen wofür, geben sie auch etwas mehr Geld aus.

Wie schätzen Sie die Situation in Brandenburg derzeit ein? Wie geht es den Tieren hier?

Ich glaube, in Brandenburg haben wir einen stark geteilten Markt. Es gibt hier ganz tolle Betriebe, wie zum Beispiel jenen in Brodowin. Das ist ja ein großer Betrieb mit 600 Rindern, aber die dürfen alle auf die Weide und ihre Hörner behalten. Und dann haben wir eben das andere Extrem, die Großschweineställe und die Großhähnchenmastanlagen, wo die Tiere nie das Tageslicht sehen. Das liegt bestimmt auch an der Nähe zu Berlin, weil es dort eben eine große Nachfrage gibt.

Aber auch in Berlin wächst die Zahl derer, die wissen wollen, wo ihr Fleisch herkommt oder ganz darauf verzichten.

Eben. Wir haben ja in Deutschland die irre Situation, dass der Fleischkonsum sinkt und die Produktion steigt. Das passt überhaupt nicht zusammen. In fast allen Bereichen setzt unser Land auf hohe Qualität, oft sind wir weltweit führend. Nur in der Landwirtschaft setzen wir auf Masse. Wir sind einer der billigsten Produzenten für Fleisch in ganz Europa. Aus unserer Sicht ist das eine Sackgassenstrategie, auch für die Landwirte. Tausende Milchbauern haben ja schon in den letzten Jahren aufgeben müssen. Viele Tausend stehen kurz vor dem wirtschaftlichen Ruin.

Apropos Milchbauern: Auch in Brandenburg leiden sie massiv unter dem niedrigen Milchpreis. Wie könnte man dagegenhalten? Eine neue Quote?

Die alte Quote war planwirtschaftlicher Unsinn. Sie ist starr geblieben, egal wie hoch die Nachfrage war – das konnte nicht funktionieren. Wir stellen uns ein anderes Instrument vor. Auf dem Milchmarkt gibt es einen Effekt, dass schon eine leichte Überproduktion sehr starke Preisreaktionen verursachen kann. Zwei, drei Prozent Überproduktion können den Preis um 30 oder 40 Prozent fallen lassen. Wir stellen uns eine Art atmenden Deckel vor, der schnell und automatisch auf Überproduktion reagiert, die Milchbauern animiert, entsprechend weniger zu produzieren. So könnten Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.

Anderes Thema: Braunkohle. Es gibt ja Überlegungen, Bundesmittel für den Kohleausstieg und den Strukturwandel der Lausitz einzusetzen. Was denken Sie darüber?

Wir halten es für absolut richtig, dass der Bund bei solchen Strukturveränderungen hilft. Wir sehen aber sehr kritisch, dass 1,6 Milliarden für das Vorhalten von Braunkohlekraftwerken gezahlt wurden. Das Geld hätte aus unserer Sicht direkt für den Strukturwandel eingesetzt werden sollen, Regionen wie die Lausitz sind nach den Entwicklungen der vergangenen Jahre schon genug gebeutelt. Ebenfalls sehr problematisch finden wir, wer da grade Vattenfall aufkauft.

Sie sprechen von dem geplanten Verkauf der Lausitzer Kohlereviere an den tschechischen Energiekonzern EPH und die Investmentgruppe PPF. Was meinen Sie mit problematisch?

Es wirkt ein bisschen so, als wenn die Käufer sozusagen Cash-Out machen wollten, also die letzten Gewinne aus dem Betrieb quetschen wollen und dann die Region mit hohen Kosten des Bergbaus alleine lassen würden. Wir haben die Befürchtung, dass da eine Heuschrecke am Werk ist.

Wie stehen sie zu den Anti-Braunkohle-Protesten an Pfingsten, bei denen der Tagebau Welzow-Süd besetzt wurde? Das Wort Ökoterrorismus fiel in dem Zusammenhang.

Wann ziviler Ungehorsam nötig und wichtig ist, muss jede und jeder für sich entscheiden. Das gilt ja zum Beispiel auch bei Anti-Nazi-Demonstrationen. Aber ich denke, die Menschen sollten darauf achten, nicht andere und sich selbst in Gefahr zu bringen. Gerade auf einem Braunkohlegelände kann schnell etwas passieren. Hinsichtlich ihrer Sprache sollten Vattenfall und Landesregierung allerdings abrüsten.

Zum Schluss noch eine Frage zur Bundestagswahl 2017. Es ist ja bekannt, dass Sie eine rot-rot-grüne Koalition favorisieren würden, also ein Bündnis mit SPD und Linken. Wie wollen Sie den hiesigen Grünen-Wählern klarmachen, dass man heutzutage mit der Linken zusammenarbeiten kann – gerade in Brandenburg, wo die Linke als Partei gilt, die teilweise noch mit ihrer DDR-Vergangenheit zu kämpfen hat?

Ich kämpfe für starke Grüne. Darüber hinaus bereiten wir uns für 2017 auf alles vor – auf die Möglichkeit eines schwarz- grünen Bündnisses genauso wie eines rot-rot-grünen Bündnisses. Also wollen wir auch versuchen, mit der Linken zu reden. Ich glaube, die Linkspartei sollte sich anschauen, wie sich ihre Genossen in Thüringen der Vergangenheit gestellt haben. Das finde ich beispielhaft und könnte auch für Brandenburg der richtige Weg sein.

Die Fragen stellte Katharina Wiechers

ZUR PERSON: Der 46-jährige Anton Hofreiter ist gebürtiger Münchner und seit 2005 Mitglied des Bundestages. Der promovierte Biologe war von 2011 bis 2013 Vorsitzender des Verkehrsausschusses, seit Oktober 2013 ist er neben Katrin Göring-Eckardt Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion. Vor wenigen Tagen veröffentlichte er das Buch „Die Fleischfabrik“, in dem er das System der Massentierhaltung anprangert. Am Montagabend war er zu einer Buchvorstellung und Podiumsdiskussion im Potsdamer Haus der Natur. Zuvor hatte er das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung in Golm besucht. 

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