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Ausgrenzung an Schulen (Symbolfoto)

© Imago/Emil Umdorf

Antisemitismus an Berliner Schulen: Sein Vergehen: Er ist Jude

Oskar wurde an einer Schule in Berlin-Friedenau monatelang antisemitisch beleidigt und verprügelt. Der Vater sieht immer noch große Mängel bei Eltern und Lehrern im Umgang mit dem Thema Mobbing.

Oskar geht es wieder gut. Oskar, der 15-Jährige, lernt jetzt in einer privaten Internationalen Schule in Berlin. Seine Leidenszeit ist vorbei. Ende März 2017 verließ er die Friedenauer Gemeinschaftsschule, er musste sie verlassen, es ging nicht mehr. Arabisch- und türkischstämmige Mitschüler hatten Oskar monatelang beleidigt und verprügelt. Sie hatten ihm, nur einer von vielen Vorfällen, im Schwitzkasten die Luft abgeschnürt

Sein Vergehen: Er ist Jude.

Ein Opfer religiöser Intoleranz. So wie jene Schülerin, die an der Simmel-Grundschule in Tempelhof mehrmals verbal attackiert wurde. Ihr Fall war im März öffentlich geworden.

"Traumatisiert und deprimiert"

Wenzel Michalski, Oskars Vater, sagt: „Als er die Schule verließ, war er traumatisiert und deprimiert.“ Er sitzt in seinem Büro am Hackeschen Markt, vor dem Fenster spielt eine Straßen-Band Jazz, an der Wand hängt ein Plakat der Tate Gallery Liverpool. Niemand muss Wenzel Michalski sagen, was Mobbing oder Attacken auf die Menschenwürde bedeuten. Der 55-Jährige ist Deutschland-Direktor der Menschenrechts-Organisation Humans Rights Watch. Jetzt beobachtete er Mobbing bei seinem eigenen Sohn.

Ein Jahr ist es her. „Seither ist die Öffentlichkeit sensibilisierter für das Thema“, sagt er. Deshalb haben die erst religiösen, dann gezielt antisemitischen Attacken in der Simmel-Grundschule solche Empörung hervorgerufen. Michalski registriert diese Sensibilisierung durchaus mit Genugtuung. Einerseits. Antisemitismus an Schulen gibt es ja seit Jahrzehnten, aber die Öffentlichkeit hatte dieses Mobbing nie nachhaltig wahrgenommen. „Jetzt hat sich etwas geändert“, sagt Michalski. „Die jüdische Gemeinde etwa traut sich mehr, darüber zu reden.“ Und bundesweit ist die Simmel-Schule Synonym für antisemitische Vorfälle, auch weil Bundesjustizminister Heiko Maas öffentlich sein Entsetzen äußerte.

Lehrer und Schulleiter verharmlosen die Problematik

Andererseits sagt Michalski auch: „Ich bin nicht zu optimistisch.“ Für ihn stellt sich die Frage, wer denn in den vergangenen Monaten sensibilisiert wurde. Die Öffentlichkeit, ja, die auf jeden Fall. „Aber noch immer gibt es die Tendenz, Probleme zu verharmlosen. Schulleiter möchten ja nicht, dass ihre Schule mit Antisemitismus oder Mobbing in Verbindung gebracht werden.“

In der Friedenauer Gesamtschule hätten Lehrer zu spät eingegriffen, sagt Michalski. Auch an der Simmel-Grundschule musste der Schulleiter sich entschuldigen, weil er die Vorfälle erst verharmlost hatte. „Jeder, der bis drei zählen kann, weiß doch jetzt, dass man präventiv tätig werden muss“, sagt Michalski.

Er hat nicht den großen Masterplan, aber er ist auch nicht bloß Vater von drei Kindern, er kümmert sich beruflich um Menschenrechte und -würde. Und eine dieser Präventivmaßnahmen ist für ihn die Ausbildung von Lehrern. „Alle Pädagogen müssten in Workshops, wo sie lernen zu erkennen, wann Mobbing stattfindet und wie man dagegen vorgeht.“ Natürlich weiß Michalski, dass es genügend solcher Workshops gibt, aber offenbar nimmt nicht jeder Lehrer daran teil. „Sonst würde so ein Mobbing ja nicht in diesem Maß stattfinden“, sagt Michalski.

Pädagogische Ausbildung fehle vielen

Dass vor allem arabisch- und türkischstämmige Schüler, erzogen mit der Vorstellung, dass Juden Feinde seien und Israel zerstört gehöre, religiöses Mobbing betreiben und antisemitische Sprüche verbreiten, ist die Erfahrung an vielen Schulen. Dervis Hizarci, Lehrer und Vorstandsvorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, sagt: „Man konfrontiert die Schüler mit dem, was sie gesagt haben, und reagiert dann sofort. Wenn jemand sagt: ,Du Scheißjude’, greife ich als Lehrer umgehend ein.“

Michalski hat nur große Zweifel, dass jeder Lehrer so reagiert. Er glaubt, dass viele Lehrer mit der Situation überfordert seien. „Die müssten im Studium viel mehr Pädagogik lernen.“ Die Situationen an Schulen hätten sich ja geändert. Es gibt mehr Migranten, es gibt mehr Schüler, die schlecht oder fast gar kein Deutsch sprechen. „Man muss die Lehrer darauf vorbereiten, wie sie in Schulen mit hohem Migrationsanteil auftreten.“

Eltern müssen einbezogen werden

Aber da sind ja auch noch die Eltern. „Die“, sagt Michalski, „muss man natürlich einbeziehen.“ Am liebsten würde er Eltern dazu verpflichten, dass sie zu Elternabenden kommen. Nur müssten dort dann aber auch „die ernsten Themen angesprochen werden“. Bei den Elternabenden, bei denen er war, „ging es vor allem um den Schulausflug oder ähnliche Themen.“ Klar, „die sind wichtig, aber die wirklich schwierigen Themen muss man auch ansprechen.“ Eltern müssten lernen, wie man mit Mobbing umgehe.

Und Mobbing beschränkt sich für den Menschenrechtler Michalski nicht bloß auf Antisemitismus. „Opfer sind auch dunkelhäutige Schüler, Mädchen, Homosexuelle.“ Außerdem, Antisemitismus „wurde ja nicht von den Muslimen importiert. Den gibt es schon immer in der Gesellschaft.“ Wenn man den Antisemitismus nicht in den Griff bekomme, „löst sich das Problem nie“. Auch an Schulen nicht.

Zumindest aber wird dieser Antisemitismus inzwischen wahrgenommen, auch von der Politik. Mit Oskar, dem Sohn von Wenzel Michalski, haben nach den Vorfällen in Friedenau mehrere Politiker gesprochen. Eines dieser Gespräche hat zumindest Wenzel Michalski besonders beeindruckt. Mitten im Wahlkampf traf Martin Schulz, der Kanzlerkandidat der SPD, 90 Minuten lang den 14-jährigen Oskar. „Schulz“, sagt Michalski anerkennend, „hat das wahlkampfmäßig nie ausgeschlachtet.“

Wer bietet Betroffenen Rat und Hilfe?

In jedem Bezirk gibt es ein Schulpsychologisches und InklusionspädagogischesBeratungszentrumEltern, Schüler und Lehrkräfte können sich beim Zentrum des Bezirks beraten lassen, in dem die Schule des Kindes liegt.Die Adressen und Telefonnummern findet man hier.

Für Probleme, die sich mit der Schule nicht klären lassen, ist die Schulaufsicht die nächsthöhere Instanz. Adressen und Telefonnummern gibt es hier.

Saraya Gomis, Antidiskriminierungsbeauftragte der Bildungsverwaltung und Ansprechpartnerin für Eltern, Schüler und Lehrkräftebei Problemen mit Diskriminierungen jeder Art. Kontakt: saraya.gomis@senbjf.berlin.de oder Tel. 90227-5817

Adas (Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen) des VereinsLife e.V.: www.adas-berlin.de, Tel. 0800-7245067.

Bei antisemitischen Vorfällen hilft das Kompetenzzentrum der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. beratung@zwst-kompetenzzentrum.de, Tel. 61080458.

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