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Betrugsvorwürfe. Der frühere Linke-Landtagsabgeordnete Peer Jürgens soll über Jahre unter Vortäuschung eines falschen Wohnsitzes unter anderem Kilometerpauschalen unberechtigt eingestrichen haben. Es geht um einen Schaden von fast 87 000 Euro.

© Bachmann/dpa

Brandenburg: Am Pranger

Die Anklage gegen den ehemaligen Linke-Landtagsabgeordneten Peer Jürgens lautet auf Betrug und Wahlfälschung. Er soll 87 000 Euro zu Unrecht kassiert haben. Der Prozess wird ein Gemetzel

Potsdam - Brandenburgs Linke hat am Freitagabend gefeiert. Die Landesparteizentrale in Potsdam wurde nach ihrem vor drei Jahren verstorbenen Übervater Lothar Bisky benannt. Die Granden der Partei kamen vorbei. Hans Modrow, der letzte Ministerpräsident der DDR der SED vor den ersten freien Wahlen, kam; auch Heinz Vietze, Potsdams letzter SED-Bezirkschef und die Graue Eminenz der PDS, Wegbereiter von Rot-Rot in Brandenburg; ebenso Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Bundestag; die Spitze der Brandenburger Linken und Landesparteichef Christian Görke; sogar Peter-Michael Diestel, der für die CDU letzter Innenminister der DDR war und als Fraktionschef im ersten Brandenburger Landtag auf Versöhnungskurs mit der Last der Staatssicherheit.

Doch die Feierstimmung wird überschattet durch einen Genossen, der ebenfalls ankündigt war, der aber dann am selben Tag doch noch absagte. Denn was er getan haben soll, ist politisch ein schwerer Schlag für die Partei: Ihrem langjährigen Landtagsabgeordneten Peer Jürgens wird ab dem 18. Oktober vor dem Amtsgericht Potsdam der Prozess gemacht. Am Donnerstag bekam Jürgens nach PNN-Informationen die Ladung des Gerichts – als Angeklagter.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Potsdam lautet auf gewerbsmäßigen Betrug und Wahlfälschung. Jürgens soll seit seiner ersten Wahl in den Landtag 2004 und über zehn Jahre lang in seiner Zeit als Landtagsabgeordneter und Kreischef der Linken in Oder-Spree durch falsche Angaben zu seinem Hauptwohnsitz knapp 87 000 Euro zu Unrecht vom Landtag kassiert haben – aus Steuergeld. Es geht um 69 700 Euro Fahrtkosten durch falsche Angaben zu seinem Wohnort, und 17 000 Euro an Zuschüssen für einen Zweitwohnsitz in Potsdam, nebenbei aber auch noch um Wahlfälschung bei der Kommunalwahl 2014 für den Kreistag Oder-Spree. Bei der hätte Jürgens nach Ansicht der Anklage nicht antreten dürfen – weil sein Lebensmittelpunkt schon Potsdam gewesen sei.

Statt – wie dem Landtag gemeldet – zunächst in Erkner und ab 2011 in Beeskow (beides Oder-Spree) soll der Genosse anfangs in Berlin-Friedenau, seit 2006 in Potsdam gewohnt haben, ab 2009 in einer Eigentumswohnung in Babelsberg, die er ebenfalls nicht meldete.

Dass Jürgens unbeschadet aus der Sache herauskommt, glaubt in der Linkspartei niemand. Zumindest für einen Teil der Anklage sieht wohl selbst Jürgens kein Entkommen: Schon vor geraumer Zeit hatte er dem Landtag 7400 Euro zurückgezahlt. Es handelt sich um einen Teil des Zweitwohnungszuschusses des Landtags von 250 Euro pro Monat in der Zeit von 2009 bis 2012, als er bereits in seiner Eigentumswohnung lebte. Die Rückforderungen weiterer Summen wird der Landtag erst prüfen, wenn die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft vorliegen.

Der gemeldete Hauptwohnsitz in Beeskow ermöglichte es Jürgens auch, 2014 erneut als Abgeordneter in den Kreistag Oder-Spree einzuziehen. Daraus leitet die Staatsanwaltschaft den Tatbestand der Wahlfälschung ab. Jürgens legte sein Mandat im Kreistag im Herbst 2014 nieder. Und er kam nicht mehr in den Landtag, er ist in der Linksfraktion seither als Referent angestellt. Ob er den Job behalten kann, ist fraglich. Bislang hat sich die Fraktion nicht festgelegt. Es handle sich um ein laufendes Verfahren, Jürgens sei nicht verurteilt, hieß es aus der Fraktion. Politisch ist Jürgens ohnehin längst erledigt. In der Partei wird es nichts mehr, sagen Genossen. Ein Politiker ist er nicht mehr.

Die Staatsanwaltschaft legt es dennoch auf einen Prozess an. Eine Verständigung im Vorfeld, jegliches Angebot – Einstellung gegen Geldzahlung oder Strafbefehl, also eine Verurteilung ohne Prozess lehnte die Anklagebehörde – auch trotz des Hinweises auf den ähnlich gelagerten Fall Danny Eichelbaum – ab. Der Grund: Jürgens wird gewerbsmäßiger Betrug vorgeworfen. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft spielt der Zeitraum der Tat eine wichtige Rolle. Zum Vergleich: Bei dem CDU-Landtagsabgeordneten Danny Eichelbaum waren in einem vergleichbaren Fall die Betrugsermittlungen Anfang 2014 gegen Zahlung einer Geldauflage von 20 000 Euro eingestellt worden.

Eichelbaum soll mit falschen Angaben zu seinem Hauptwohnsitz überhöhte Fahrtkostenpauschalen des Landtags in Höhe von 20 305 Euro in Anspruch genommen haben – er gab Jüterbog als Hauptwohnsitz an, wohnte aber in Potsdam. Der CDU-Politiker zahlte neben der Geldauflage auch den Schaden an den Landtag zurück – insgesamt also 40 000 Euro. Bei dem Verfahren war Eichelbaum zugute gehalten worden, dass es damals im Landtag keine Kontrollen zur Angabe der Wohnsitze von Abgeordneten gab und die Praxis lax war. Dies wurde mit dem neuen Abgeordnetengesetz verschärft. Nun müssen die Parlamentarier jede Fahrt einzeln aufzeichnen und abrechnen. Ein Schuldeingeständnis lag der Einstellung des Verfahrens bei Eichelbaum allerdings nicht zu Grunde.  Das alles spielt für die Staatsanwaltschaft bei Jürgens keine Rolle.

Jürgens will eine Verhandlung, also die maximale Prangerwirkung vor Kameras und mit Zuschauern, vermeiden. Eben weil er ohnehin schon erledigt ist. Deshalb bot er der Staatsanwaltschaft ein Geständnis an, die kassierten Gelder würde er zurückzahlen. Er würde sogar einen Strafbefehl auf ein Hafturteil von einem Jahr zur Bewährung akzeptieren. Er wäre damit vorbestraft. Doch die Staatsanwaltschaft besteht auf einem öffentlichen Prozess, bei dem Jürgens Reue zeigt. Es wäre ungewöhnlich, wenn die Leitung der Behörde in die Entscheidung nicht eingebunden wäre. Nur: Warum eine öffentliche Verhandlung, wenn möglicherweise am Ende nicht mehr als der angebotene Strafbefehl ohne Prozess herauskommt? Das widerspräche der üblichen Praxis, auch in der Justiz gilt Effizienz.

Bemerkenswert ist auch, wie lange das Verfahren gegen Jürgens schon läuft. Die ersten Ermittlungen aus dem Jahr 2012 waren eingestellt und nach der Beschwerde der Grünen-Politikerin Sabine Niels 2014 wieder aufgenommen worden. Im Juni 2014 – wenige Monate vor der Landtagswahl – durchsuchten die Ermittler Jürgens’ Eigentumswohnung in Potsdam, wo er seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt hatte, aber auch die beim Landtag als Hauptwohnsitz gemeldete Wohnung in Beeskow. Laut „Bild“-Zeitung war sie 33 Quadratmeter groß, es soll keinen Esstisch und kein Geschirr gegeben haben – dafür aber eine Zeitschaltuhr für die Beleuchtung. Die Ermittler vermuten, dass Jürgens damit vortäuschen wollte, dass er in der Wohnung war.

Jürgens legte Beschwerde gegen die Razzia ein. Die 5. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam entschied Anfang September 2014, dass die Durchsuchung rechtswidrig und unverhältnismäßig war. Das Landgericht sah die Durchsuchung als äußerst schwerwiegend an, weil dadurch auch die Rechte des Parlaments berührt waren, da die Ausübung eines Landtagsmandats und das Mitglied eines Verfassungsorgans betroffen waren. Auch der Hinweis auf die Zeitschaltuhr wurde zerpflückt. Ihr Fund beschreibe nur den Zustand am Tag der Razzia. Und kann eine Zeitschaltuhr nicht auch dazu dienen, um Einbrecher abzuhalten? Warum lagen im Kühlschrank Schaumküsse, Sekt und Wein? Die Fotos der Ermittler könnten auch diesen Eindruck vermitteln: eine typische Junggesellenwohnung.

Bei dem Prozess vor dem Schöffengericht am Amtsgericht Potsdam gegen Jürgens, der am 18. Oktober beginnt, dürfte es also bei den angesetzten fünf Verhandlungstagen und 34 Zeugen nicht bleiben. Durch den Landgerichtsentscheid ist zu erwarten, dass Jürgens’ Anwalt Norman Lenz bei jedem Beweismittel Beschwerde gegen die Verwertbarkeit einlegt. Jedes Mal müsste dann das Gericht entscheiden. Auch weitere Zeugen aus dem Umfeld von Jürgens dürfte Lenz laden. Entlastungszeugen, die offenbar von den Ermittlern nicht befragt wurden. Es könnte ein Gemetzel zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft werden.

Lenz sagte am Freitag: „Wir erwarten eine ergebnisoffene und umfangreiche Beweisaufnahme, wobei die Entscheidung des Landgerichts Potsdam über die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung der Wohnung unseres Mandanten aus unserer Sicht wegweisend ist.“ Lenz sieht auch politische Gründe hinter dem Verfahren. „Der Umstand, dass das Strafverfahren von einer konkurrierenden Abgeordneten im Vorwahlkampf 2014 und laut Landgericht ohne Realkennzeichen initiiert wurde“, aufgrund der Anzeige einer politischen Konkurrentin, „ist dabei von besonderer Bedeutung“, sagte der Anwalt.

Jürgens ist nicht der erste Landespolitiker, der wegen Fahrtkosten ins Visier der Strafjustiz geriet: Die Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelt auch gegen Torsten Krause, bis zur Landtagswahl im Herbst 2014 Abgeordneter der Linken und seit November Büroleiter bei Sozialministerin Diana Golze (Linke). Krause wird beschuldigt, in den Jahren 2005 bis 2012 bei der Landtagsverwaltung nicht seinen tatsächlichen Wohnort angegeben zu haben. Statt an seiner offiziellen Meldeadresse im uckermärkischen Lychen soll Krause vor allem in Potsdam gelebt haben. Dadurch soll er sich über die Jahre eine Fahrtkostenpauschale vom Landtag erschlichen haben. Bislang ging es in den Ermittlungen um 70 000 Euro aus Steuergeldern. Die Landtagsverwaltung erwägt, nach Abschluss der Verfahren die Pauschalen zurückzufordern.

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