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Spurensuche. Um am Tatort nichts zu übersehen wie hier beim Fund einer Leiche 2016 in Oberhavel, müssen Kriminalbeamte gut ausgebildet sein. Experten halten ein Spezialstudium für erforderlich, das es in der Mark nicht gibt.

© Julian Stähle/dpa

Brandenburg: Alleskönner oder Spezialisten am Tatort

Landtag lehnt eigene Kriminalistenausbildung ab, sucht aber Synergiemöglichkeiten mit anderen Ländern

Potsdam - Der Warnruf aus Justiz und Kriminalpolizei kam schon vor drei Jahren: Wenn Brandenburg nicht schnell dafür sorge, wieder Kriminalisten auszubilden, werde die Ermittlungsarbeit immer schwieriger, die Aufklärungsquote immer niedriger. Die Qualität der Akten, die der Justiz von der Polizei übergeben werden, sei oft sehr bedenklich, bemängelten Richter und Staatsanwälte. Auch Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg hielt mit seiner Kritik nicht hinter dem Berg: Die Einheitsausbildung bei der Brandenburger Polizei sei „eine Katastrophe für die Strafverfolgung“. Ein Antrag der oppositionellen CDU-Fraktion, an der Fachhochschule der Landespolizei in Oranienburg eine spezialisierte Kriminalistenausbildung anzubieten, wurde am Freitag im Landtag dennoch abgelehnt.

Das Grunddilemma skizzierte der innenpolitische Sprecher der CDU, Björn Lakenmacher. Brandenburg verfüge über gute ausgebildete Kriminalisten – noch. Denn die Polizisten, die zu DDR-Zeiten an der Berliner Humboldt-Universität Kriminalistik studierten und bis heute einen exzellenten fachlichen Ruf besitzen, gehen, wenn sie überhaupt noch im Dienst sind, in nächster Zeit in Ruhestand. Die jüngere Generation in der Kriminalpolizei hat in Brandenburg kein solches Spezialstudium durchlaufen. Nach der Wiedervereinigung hat das Land auf eine „Einheitsausbildung“ umgestellt. Polizisten werden zu Generalisten ausgebildet, egal ob sie später zur Schutz-, Bereitschafts- oder Kriminalpolizei gehen. Der Kriminalistikanteil in der Ausbildung beträgt laut Lakenmacher nur rund 25 Prozent. „Kriminalpolizist ist aber kein Anlernberuf“, so der CDU-Politiker, selbst Kriminalbeamter beim BKA in Berlin. Der von Brandenburg angestrebte „Alleskönner“ werde laut Lakenmacher der Komplexität der Kriminalitätsbekämpfung nicht gerecht.

Die Erstbegehung eines Tatortes sei entscheidend für den Verlauf der Ermittlungen, erklärte auch Ursula Nonnemacher, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, die dem CDU-Antrag wie die AfD zustimmte. „Kaum etwas ist für Opfer oder Angehörige der Opfer so erschütternd wie die Unverwertbarkeit von Beweisen mangels Gerichtsfestigkeit oder die Unaufklärbarkeit einer Straftat aufgrund eines Ermittlungsversagens durch mangelhafte Spurensicherung“, so Nonnemacher. Dafür seien hervorragende Kriminalisten nötig. Leisteten Polizisten zudem direkt nach ihrer Ausbildung zunächst ihren Dienst bei der Schutzpolizei, sei das kriminalistische Wissen bei einem späteren Wechsel wieder vergessen. Neue Herausforderungen wie Wirtschaftskriminalität oder Cybercrime erforderten zudem andere Methoden der Beweissicherung. Der AfD-Abgeordnete Thomas Jung schlug deshalb vor, auch Jurastudenten oder BWlern den Einstieg in den Polizistenberuf zu ermöglichen.

Dass sich die Anforderungen geändert haben, räumte auch Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) ein: „Der Strumpfmaskenbankräuber ist heute nicht mehr der Normalfall.“ Der Täter von heute bewege sich kaum noch aus dem Sessel, um schwere Straftaten zu begehen. Das laufe inzwischen übers Internet. Aber: „Wir können nicht jede Subspezialisierung durch eine eigenständige Ausbildung abdecken“, so Schröter. Brandenburg brauche nicht nur hervorragende Kriminalisten, sondern auch gut ausgebildete Verkehrs- und Bereitschaftspolizisten. Die Tatortarbeit bei einem Unfall oder einem Wohnungseinbruch unterscheide sich zudem nicht grundlegend. „Das läuft nach dem selben Algorithmus“, erklärte der Minister. Die Ausbildung müsse durchlässig bleiben, damit Polizisten während ihrer Laufbahn den Bereich wechseln können. „In der Schule der Polizei hat man nie ausgelernt“, so Schröter weiter. Durch Fortbildungen seien die Polizisten ausreichend auf neue kriminalistische Phänomene vorbereitet.

Das hörte sich vor einigen Monaten noch anders an. Vergangenen September hatte der Minister erstmals öffentlich erklärt, über eine Kriminalistenausbildung nachzudenken. Eine länderübergreifende Arbeitsgruppe sollte klären, ob die ostdeutschen Bundesländer gemeinsam eine Kripo-Ausbildung anbieten könnten. Die bisherige Resonanz sei unterschiedlich, erklärte Schröter dazu am Freitag. Sachsen-Anhalt werde sich nicht an einer gemeinsamen Ausbildung beteiligen, Sachsen sei skeptisch. Thüringen und Berlin seien dafür.

Die Koalition aus SPD und Linke lehnte nun am Freitag den CDU-Antrag ab, um einem eigenen Antrag zuzustimmen. Darin wird das Ministerium beauftragt, bis Oktober zu berichten, ob ein länderübergreifender Kripo-Studiengang eingerichtet werden könne oder eine Kooperation mit der Bundespolizei denkbar sei. Eine eigene Ausbildung „übersteigt die Möglichkeiten unseres kleinen Landes“, begründete der Innenpolitiker der Linken, Hans-Jürgen Scharfenberg, den Antrag. Der SPD-Abgeordnete Daniel Kurth setzt auf den guten Willen der altgedienten Fachleute. Bis eine Entscheidung getroffen sei, könnten Ruheständler freiwillig verlängern und ihr Wissen weitergeben.

„Der Landtag setzt ein unklares Signal“, kritisierte der Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Riccardo Nemitz, am Rande der Sitzung. Nicht das Ob einer Kriminalistenausbildung müsse geprüft werden, sondern das Wie. Der weiteren „fachlichen Verwässerung“ der Kripo nach weit über zwei Jahrzehnten Einheitsausbildung müsse endlich Einhalt geboten werden.

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