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Brandenburg: Alles auf Anfang

Erst reicht dem Senat ein Sonderermittler, nun soll es doch einen Untersuchungsausschuss geben In der Berliner Polizei sind viele wegen des Vorgehens im Fall Anis Amri verärgert

Berlin - Als die Sondersitzung des Innenausschusses nach drei Stunden endet, herrscht im Abgeordnetenhaus vor allem ein Gefühl: Ernüchterung. Denn viel Neues zum Fall Anis Amri ist am Montag nicht herausgekommen. Der zuständige Staatssekretär Torsten Akmann (SPD) und Polizeipräsident Klaus Kandt teilten zwar Details zu den nachträglich veränderten Amri-Akten im Landeskriminalamt mit. Etwa dazu, dass zwei weitere Dealer, wie Amri ebenfalls Asylbewerber, nicht mehr in den Berichten auftauchten.

Die entscheidende Frage aber blieb offen: Wieso wurde nach dem Attentat auf dem Breitscheidplatz 2016 die Rolle Amris als Drogendealer so heruntergespielt? War die Manipulation der Akten im Januar 2017 eine panische Reaktion im LKA – angesichts der zwölf Toten am Breitscheidplatz? Oder sollten Amris zwei Komplizen geschützt werden? Innensenator Andreas Geisel (SPD) formulierte es so: Da Amri kein „unbescholtener Deutscher“ gewesen sei, sondern „polizeibekannter Gefährder“, bei dem Fluchtgefahr bestand, wäre ein Haftbefehl wohl wahrscheinlich gewesen. Sprich, der Terroranschlag hätte wohl verhindert werden können. Der vom Senat im April eingesetzte Sonderermittler Bruno Jost will sich nun den „Entstehungsprozess“ beider Berichte anschauen. Unklar ist zudem, ob die Staatsanwaltschaft beide Berichte kennt oder nur den manipulierten.

Sonderermittler Jost wollte sich noch am Montag mit einem der beiden betroffenen Kripobeamten unterhalten. Allein die Tatsache, dass der zweite Bericht zurückdatiert sei, sagte Jost, spreche für eine Vertuschung. Der frühere Bundesanwalt blieb aber vorsichtig: „35 Jahre Berufserfahrung haben gezeigt, dass sich alles auch ganz anders darstellen kann.“

Etwas überrumpelt wirkte Jost, dass nun auch die rot-rot-grüne Koalition einen Untersuchungsausschuss wünscht. Während die Sitzung am Montag lief, verschickten die Regierungsparteien eine entsprechende Presseerklärung. Jost sagte später, dass erst mal geklärt werden müsse, wie die Zusammenarbeit zwischen ihm und dem U-Ausschuss erfolgen solle. Ursprünglich hatte der Senat Jost eingesetzt, um einen solchen Ausschuss zu umgehen und schneller Aufklärung zu erhalten. Nur AfD und FDP hatten sofort einen U-Ausschuss gefordert.

Am Montag wollte nun auch CDU-Innenexperte Burkard Dregger einen U-Ausschuss. Bislang war die CDU dagegen, schließlich war ihr Mann Frank Henkel bis vor Kurzem Innensenator. Dregger warf Geisel vor, mit der „überflüssigen Anzeige“ gegen die Kriminalbeamten dem Ansehen der Polizei geschadet zu haben. Im Parlament bekam Dregger dafür wenig Zustimmung.

Allerdings sehen viele Polizisten das Vorgehen des Senats kritisch. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), die Gewerkschaft der Fahnder, erklärte, dass man mit einem Untersuchungsausschuss leben könne. Allerdings, sagte der Berliner BDK-Vizechef Carsten Milius, wäre es ratsam, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abzuwarten – diese befasse sich seit der Anzeige durch Senator Geisel ja mit dem Fall. Auch Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei sagte: „Die Berliner Polizei hat aufgrund schlechter Kommunikation der Behördenleitung im Fall Anis Amri viel an Glaubwürdigkeit verloren. Diese wird man nicht zurückgewinnen, wenn man mit eigenen Leuten die Arbeit im eigenen Haus überprüfen lässt.“ Ein U-Ausschuss schaffe da andere Möglichkeiten, er bündele aber auch Kapazitäten. Angesichts der vielen Schwierigkeiten in Berlin sollte man sich dies genau überlegen, sagte Jendro: „Es ist richtig, alles lückenlos aufzuklären, aber vielleicht sollte man Sonderermittler Jost erst einmal in Ruhe arbeiten lassen.“

Innensenator Geisel möchte wohl beides sein – konsequenter Aufklärer und fürsorglicher Chef seiner Untergebenen. In einem offenen Brief an die fast 23 000 Mitarbeiter der Berliner Polizei schreibt der Senator: „Sie haben weiterhin meine volle Unterstützung und Rückendeckung.“ Die Erkenntnisse des Sonderermittlers Jost seien aber „leider so schwerwiegend, dass eine Strafanzeige zur Aufklärung des Sachverhalts unumgänglich war“. Und Geisel bleibt auch in dem Brief dabei: „Es scheint nach Lage der Dinge offensichtlich, dass Fehler gemacht wurden.“

In der Originalfassung des Amri-Berichts des LKA-Staatsschutzes ist von 73 abgehörten Telefonaten die Rede, die „gewerbs- und bandenmäßigen Drogenhandel“ nahelegen, auch zwei Mittäter werden genannt. Anders der Bericht im Januar, der dasselbe Aktenzeichen trägt und vom selben Kommissariat stammt. Darin wird Amri „ein Kleinstdealer“ genannt, Mittäter gebe es nicht. Tatsächlich sitzt einer der beiden, dessen Name bekannt ist, nun in Haft. Jörn Hasselmann/Hannes Heine

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