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Reingelegt: Brandenburgs Verkehrsministerium wusste schon 2008, dass der Schallschutz am BER nicht eingehalten werden sollte.

© dpa

Aktenfund am BER-Flughafen: Neuer Krach beim Schallschutz

Brandenburg wurde vom Flughafen schon 2008 informiert, dass die Vorgaben für Schallschutz nicht eingehalten werden. Nächste Woche spricht das OVG sein Urteil

Schönefeld - Am Donnerstag haben Fluglärmgegner einen brisanten Aktenfund publik gemacht, der die Flughafengesellschaft und Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck, zugleich BER-Aufsichtsratchef, in Erklärungsnöte bringt. Das Verkehrsministerium des Landes war demnach bereits seit dem 20. November 2008 darüber informiert, dass der Flughafen beim Schallschutz gegen den vom Bundesverwaltungsgericht 2006 bestätigten Planfeststellungsbeschluss verstoßen wollte. Genau das geschah dann auch und wurde von der brandenburgischen Planfeststellungsbehörde geduldet, was die Bürgerinitiativen jetzt anprangern. Erst im Dezember 2011 reagierte das Ministerium mit einem folgenlosen Mahnschreiben an den Flughafen. Gestoppt wurde alles aber erst vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) mit einem aufsehenerregenden Urteil im Mai 2012.

Den Aktenfund veröffentlicht haben klagende Anrainer-Bürgerinitiativen, die Schutzgemeinschaft der Umlandgemeinden, der Bürgerverein Berlin Brandenburg und der Verein für umweltverträglichen Verkehr (VUV). Er stammt aus den Unterlagen, die im Prozess eine Rolle spielen und ihnen deshalb vorlagen. Er kann auch Auswirkungen auf einen noch laufenden Prozess haben. In der kommenden Woche sprechen die Richter erneut ein wichtiges Urteil zum Pannen-Airport in Schönefeld. Das OVG will sein abschließendes Urteil zum Lärmschutz-Standard für 14 000 Wohnungen rings um den BER sprechen. In jüngerer Zeit hatte das Gericht bereits die Wannsee-Flugroute gekippt, ebenso wie das jahrelange „systematisch“ rechtswidrige Billig-Schallschutzprogramm am BER. Vom nun erwarteten abschließenden Urteil hängt ab, ob der Flughafen den ursprünglichen 139-Millionen-Etat für den Schutz der Anrainer nun um 305 Millionen Euro oder sogar um 571 Millionen Euro aufstocken muss.

Die nun aufgetauchten Unterlagen zeigen, dass Verantwortliche des Flughafens schon in einer mehr als zweistündigen Besprechung am 20. November 2008 im Potsdamer Ministerium keinen Zweifel daran gelassen hatten, dass sie im Schallschutzprogramm die Vorgabe des Planfeststellungsbeschlusses nicht einzuhalten gedenken. Demnach hätte es keine Grenzwertüberschreitung des Pegels von 55 Dezibel in Wohnungen durch Fluglärm geben dürfen. Das Ministerium wurde aber in Kenntnis gesetzt, dass der Flughafen statt „keinmal“ ein Schutzniveau von täglich 16 Überschreitungen zugrunde legte und nur die dafür nötigen 139 Millionen Euro in der Kostenkalkulation einplante. Genau diese 139 Millionen Euro standen auch noch 2012 im BER-Wirtschaftsplan. Bereits im Jahr 2008 legte die Flughafengesellschaft Berechnungen vor, etwa dass für den Lärmschutz-Standard mit nur einer Grenzwertüberschreitung pro Tag 200 Millionen Euro mehr fällig würden. In der Sitzung wies Flughafenanwalt Volker Gronefeld, so heißt es, „ausdrücklich“ auf das Ziel hin, „Mehrkosten gegenüber der Ursprungskalkulation auf der Grundlage eines Maximalpegelkriteriums von 16 x 55 dB (A) zu verhindern“. Die Bewilligungsbescheide für Billigschallschutz, die fortan verschickt wurden und inzwischen Makulatur sind, gingen im Gegensatz zum Planfestellungsbeschluss von sechs Grenzwertüberschreitungen täglich aus.

Dabei war der Flughafen bei der Behörde angeblich abgeblitzt.Die Planfeststellungsbehörde sehe „keinen Anlass, von den Regelungen im Planfeststellungsbeschluss abzuweichen“, so der Vermerk. Der FBS, also der damaligen Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH, seien „die Auflagen zum Tagschutz bekannt“ gewesen. „Hiergegen hat sie nicht geklagt. Im Gegenteil kann mit dem Argument der Kostenreduzierung für die FBS nicht der Lärmschutz der Betroffenen ausgehebelt werden.“ Auf diese Formulierung pochen die Anwohner nun im Prozess. Auf diese Formulierung zieht sich aber auch der damals zuständige Amtschef im Ministerium zurück, Rainer Bretschneider, heute Platzecks Flughafenstaatssekretär. „Es zeigt doch deutlich, dass die Planfeststellungsbehörde von Anfang an eine klare Position vertreten hat.“ Eine plausible Erklärung, warum man danach nicht einschritt, gibt es bisher aber nicht.

Bretschneider wird heute vom BER-Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses als Zeuge gehört. Anwältin Franziska Hess, die einige Kläger vertritt, weist auf einen weiteren Umstand hin. Mit dem gefundenen Vermerk erhärtet sich nämlich auch der Verdacht, dass die Bundesrepublik voriges Jahr die EU-Kommission vor der Notifizierung der 1,2-Milliarden-Finanzspritze Berlins, Brandenburgs und des Bundes für den BER falsch informiert hat.

Deutschland hatte gegenüber Brüssel laut Notifizierungsbescheid argumentiert, dass das Urteil zum Schallschutz und damit die Mehrkosten „unerwartet“ gekommen seien. „Dabei war schon 2008 klar, dass Klagen und Streitigkeiten drohen“, sagt Hess. Man habe der EU den Vermerk gesandt.

Rings um den unvollendeten Airport gibt es bislang kein einziges Haus, das nach den Vorgaben des Planfestellungsbeschlusses geschützt ist. BER-Technikchef Horst Amann hat jetzt aber versichert, dass das Schallschutzprogramm „als ein wesentliches Modul in das neu aufgelegte SPRINT-Programm aufgenommen wird“, um rechtzeitig vor der Inbetriebnahme fertig zu sein. Flughafensprecher Ralf Kunkel wollte die frühere Praxis kommentieren, verwies nun auf den eingeleiteten Kurswechsel. „Die Anwohner erhalten einen exzellenten Schallschutz.“

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