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Wolf im Schafspelz? Agrar- und Umweltminister Jörg Vogelsänger trifft Entscheidungen ohne Rücksicht auf Ansehen und Verdienste.

© Hannibal/dpa

Agrarminister Jörg Vogelsänger: Ein Wolf im Schafspelz?

Er wurde lange unterschätzt. Doch als Agrar- und Umweltminister zeigt sich Jörg Vogelsänger als knallharter Machtpolitiker – mit umstrittenen Entscheidungen bei Personal und Beratern.

Potsdam – Viele haben ihn unterschätzt, oft wurde er belächelt. Pittiplatsch war noch einer der harmlosen Spitznamen, die Jörg Vogelsänger Anfang 2010 verpasst bekam, als er nach einem verlorenen Bundestagsmandat und einem Versorgungsposten als Staatssekretär im Infrastrukturministerium dort nach wenigen Monaten zum Minister aufstieg. Seit November 2014 ist er nun Umwelt- und Agrarminister in Brandenburgs neuer rot-roten Landesregierung.

Nach außen ist der 50-Jährige wie immer: stets freundlich im Auftreten, über derbste Attacken des politischen Gegners lächelt er einfach hinweg, seine brandenburgisch-ländliche Art, die bodenständige Wortgewandtheit, zumindest bei den Landwirten kommt das an. Tatsächlich zeigt sich Vogelsänger, der seit 1990 emsig Karriere in der Landes-SPD gemacht hat und immer Parteisoldat war, als knallharter Machtpolitiker. Als einer, der weiß, wie man mit Personalpolitik eine neue Linie durchsetzt, wie man die Klaviatur im Hintergrund spielt, um vorn in der Öffentlichkeit langfristig für Ruhe zu sorgen.

Präsident des Landesumweltamtes nach 20 Jahren ausgetauscht

Fast unbemerkt tauschte Vogelsänger Ende 2014 den langjährigen Chef des Landesumweltamtes, Matthias Freude, aus und versetzte ihn auf einen völlig fachfremden Chefposten im Landesamt für ländliche Entwicklung. Es war ein Affront, von einer „blutigen Lösung“ ohne Rücksicht auf Verluste ist in der Behörde die Rede. Denn Freude, der in sieben Monaten 63 Jahre alt wird, die Pensionierung also schon im Blick hat, wird damit ein würdiger Abschied verwehrt. Immerhin ist er der Begründer der Großschutzgebiete in Brandenburg. Sein Konzept der Nationalparks, Biosphärenreservate und Naturparks wurde bundesweit zum Vorbild und machte Freude zu einem weltweit gefragten Experten. Immerhin seit 1995, also 20 Jahre lang, war er Präsident des Landesumweltamtes und sekundierte bei Hochwasser stets dem früheren Ministerpräsidenten und Deichgrafen Matthias Platzeck (SPD).

Vogelsängers offizielle Begründung für die Personalentscheidung ist, dass durch Neuzuschnitt der Ressorts die Bereiche Gesundheit und Verbraucherschutz wieder herausgelöst werden müssen und dafür an der Behördenspitze eine langfristige Lösung nötig sei. Tatsächlich wird das Landesumweltamt umgekrempelt. Die Abteilungsleiter hat Vogelsänger aufgefordert, Aufgaben zu definieren, die im Zuge eine Kreisgebietsreform an die Landkreise übertragen werden können. Der Fraktionschef der Grünen im Landtag, Axel Vogel, glaubt, dass Freudes Umsetzung erst der Beginn für die Schwächung des Umwelt- und Naturschutzes ist – den Vogelsänger schon als Agrarminister bis 2014 ganz im Sinne der Bauern eher als Hemmnis denn als Chance sah. Mit einen Mann vom Format von Matthias Freude an der Spitze des Landesumweltamtes wäre ein Personalabbau beim Naturschutz kaum zu machen.

Verzicht auf Nachhaltigkeitsbeirat

Nun löste Vogelsänger mit einer weiteren Entscheidung bei vielen Seiten Kopfschütteln aus. Am Montag vergangener Woche informierte er den ans Umweltressort angesiedelten Nachhaltigkeitsbeirat, dass er künftig auf das Gremium verzichten kann. Die Vorarbeit sei schließlich geleistet, nun müsse sie umgesetzt werden. Dazu will Vogelsänger statt des Beirats eine interministerielle Arbeitsgruppe einrichten und einen Nachhaltigkeitsbeauftragten einsetzen. Auf Grundlage der Empfehlungen des Beirats hatte die Landesregierung im vergangenen Jahr eine Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen. Darin ist eine ganze Reihe von Handlungsempfehlungen aufgelistet, nicht nur zum Klima- oder Naturschutz, sondern auch zur Entwicklung des ländlichen Raumes, zur Nachhaltigkeit in der Bildung und in der Finanzpolitik. Kritiker glauben, Vogelsänger habe kritische Stimmen, die seine, die Politik der Landesregierung, torpedieren könnten, vorsorglich mundtot machen wollen.

Mit beiden Entscheidungen – Freudes Absetzung und das Aus für den Nachhaltigkeitsbeirat – deckt Vogelsänger eine ganze Reihe von Politikfeldern ab, auf denen die Landsregierung ohnehin zu kämpfen hat und keine Sperrfeuer gebrauchen kann: Da wären die neuen Braunkohletagebaue, die im Widerspruch zu den Klimaschutzzielen des Landes stehen, und die langfristigen Folgen des Kohleabbaus in der Lausitz wie die braune Spree und für das Trinkwasser gefährlich hohe Sulfatwerte. Dann die Massentierhaltung, mit der sich nach einer erfolgreichen Volksinitiative nun der Landtag beschäftigen muss und der Agrarausschuss am heutigen Mittwoch eine Vorentscheidung trifft.

Und dann generell die Landwirtschaft und ihre Struktur in Brandenburg, riesige Betriebe, vergleichsweise geringe Wertschöpfung, eine dürftige Quote von Arbeitsplätzen und steigende Landpreise. Alles aus Sicht des ausschließlich mit Wissenschaftlern besetzten Beirats nicht nachhaltig. Hinzu kommt generell der Naturschutz, wie etwa der Umgang mit Bibern wegen zerstörter Deiche und dem Binnenhochwasser im Oderbruch, wo Freude stets vor Panikmache warnte.

Kritik an Vogelsängers Entscheidungen

Axel Kruschat, Landesgeschäftsführer des Umweltverbandes BUND, kritisierte Vogelsängers Absage an den Nachhaltigkeitsbeirat als Fehlentscheidung. Die Landesregierung, insbesondere der Umwelt- und Agrarminister, brauche gerade für eine nachhaltige Politik jede wissenschaftliche Beratung. Es gebe noch viele offene Fragen in der Nachhaltigkeitsstrategie der Landesregierung, die diskutiert werden müssten. Kruschat erinnerte daran, dass der Beirat die Pläne der Landesregierung für neue Tagebaue stets energisch kritisiert hatte. „Die Mitglieder des Beirats haben sich wohl nicht sehr beliebt gemacht“, sagte Kruschat.

CDU-Umweltexperte Dieter Dombrowski kritisierte: „Nachhaltigkeit existiert bei Rot-Rot nur auf dem Papier.“ Nötig sei aber, den Beirat neu zu berufen. Die Staatskanzlei müsse die Strategie umsetzen und einen jährlichen Bericht vorlegen. Dafür müssten auch klare Ziele formuliert werden, damit „nachhaltige Politik ein abrechenbarer Prozess“ werde.

Nur die SPD steht hinter ihm

Auch der Umweltexperte der Grünen-Landtagsfraktion, Benjamin Raschke, forderte, die Staatskanzlei müsse Vogelsänger stoppen und den Nachhaltigkeitsbeirat zur Chefsache machen. Die Entscheidung, den Beirat zu kippen, passe zu dem Bild, das er bislang von Vogelsänger gewonnen habe. „Seit seinem Amtsantritt ist der Minister nur mit Initiativen gegen die nachhaltige Entwicklung des Landes und gegen den Natur- und Umweltschutz aufgefallen und macht sich stattdessen als Förderer der Massentierhaltung einen Namen.“

Rückendeckung hat Vogelsänger bislang nur bei der SPD, selbst der Koalitionspartner ist verärgert. SPD-Fraktionschef Klaus Ness verwies am Dienstag darauf, dass die Landesregierung entscheide, welche Beiräte sie berufe. Im Koalitionsvertrag sei vereinbart worden, deren Zahl möglichst gering zu halten. Der entscheidende Punkt sei, ob das Thema überhaupt bearbeitet werde – und nicht, welche Institutionen damit beschäftigt seien. Die Arbeitsgruppe sei eine gute Idee, da so das Nachhaltigkeitsprinzip in allen Ministerien bearbeitet werde. Die Linksfraktion dagegen hält den Beirat für dringend erforderlich und hatte schon im Januar Vogelsänger aufgefordert, den Beirat neu zu berufen – ohne Erfolg. Eine Arbeitsgruppe der Ministerien sowie ein Beauftragter reichten nicht aus, sagte Fraktionsvizechefin Gerrit Große nun am Dienstag. Vogelsängers Entscheidung sei bedauerlich, die Staatskanzlei sei nun am Zug. Der Linke-Abgeordnete Stefan Ludwig sagte, Vogelsänger „hat offenbar eine andere Idee, wie man arbeiten sollte, die wir nicht teilen“.

Der Beiratsvorsitzende Manfred Stock selbst, Wissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), sagte, Vogelsänger sei schlecht beraten, wenn er bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie auf wissenschaftliche Expertise verzichtet. „Entweder er schätzt unsere Expertise nicht besonders oder er sieht bei der Umsetzung keine großen Probleme“, so Stock. „Wir sehen uns zu wenig gewürdigt von der Landesregierung, das war alles zusätzliche, ehrenamtliche Arbeit. Wir hätten auch genug anderes zu tun gehabt.“

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