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Keine Ahnung? Der Fraktionschef der AfD im Bundestag, Alexander Gauland, weiß angeblich nichts über seinen Mitarbeiter und dessen Vergangenheit bei der HDJ.

© B. Settnik/dpa

AfD-Fraktionschef: Alexander Gaulands Nazi-Schatten

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hat einen Ex-Kader der verbotenen Neonazi-Truppe HDJ beschäftigt. Nicht erst im Bundestag, sondern schon seit 2015 im Landtag Brandenburg. Eine Spurensuche im Versteckspiel.

Alexander Gauland, Co-Chef der AfD-Bundestagsfraktion, soll nach Tagesspiegel-Recherchen einen früheren Kader der rechtsextremistischen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) als Mitarbeiter beschäftigt haben.

Der Mann war bereits vor Gaulands Wechsel in den Bundestag, spätestens seit Januar 2015, in der Brandenburger AfD-Landtagsfraktion als Referent beschäftigt. Und er soll Gauland dann im Herbst 2017 in den Bundestag gefolgt sein.

Dafür gibt es mehrere klare Hinweise, etwa die Aussagen mehrerer AfD-Politiker, aber auch das interne Telefonverzeichnis des Bundestags. Gaulands Büro jedoch und auch der Fraktionssprecher bestreiten das. Die Tagesspiegel-Recherchen entwickelten sich denn auch zu einer zwei Wochen währenden Beweisführung. Aber dazu später.

Ein Einzelfall ist dies bei der AfD in den Parlamenten nicht. Die HDJ steht zwar auf der sogenannten „Unvereinbarkeitsliste für AfD-Mitgliedschaft“, doch AfD-Politiker haben offenbar kein Problem damit, frühere HDJ-Kader, auch wenn sie nicht Parteimitglied sind, zumindest mit Jobs zu versorgen. Nun vermutlich aber sogar ganz oben bei Gauland, der auch Co-Chef der Partei ist.

2009 verboten

Ihren Anfang nahmen die Tagesspiegel-Recherchen durch einen Fall in Brandenburg, wo Gauland bis Herbst 2017 die Landtagsfraktion und bis April die Landespartei geführt hatte. Vor zwei Wochen war durch Berichte der ARD und des Magazins „Blick nach Rechts“ bekannt geworden, dass Gaulands Nachfolger in beiden Ämtern, Andreas Kalbitz, Kontakte zur HDJ hatte.

Er war 2007 auf einem mehrtägigen Pfingstlager der rechtsextremistischen Organisation im niedersächsischen Eschede zu Gast – nach eigener Aussage angeblich aus reinem Interesse und ohne zu wissen, dass die Verfassungsschutzbehörden den Verein schon damals als gefährlich und extremistisch eingestuft und beobachtet hatten.

Die HDJ war eine verschworene Gemeinschaft, hier fanden völkische und neonazistische Familien das geeignete Umfeld für ihren Nachwuchs. Nicht jedem wurde Zugang gewährt. Die HDJ verstand sich als paramilitärische Elite, Kinder und Jugendliche wurden zu „politischen Soldaten“ erzogen, mit militärischem Drill und ideologischer Schulung samt Rassenkunde, Hitler-Verehrung, Blut-und-Boden-Ideologie und NS-Brauchtum. Und die HDJ war streng nach dem Vorbild der Hitler-Jugend ausgerichtet.

Die Vorgängerorganisation der HDJ, die Wiking-Jugend, war 1994 verboten worden. Schließlich hat das Bundesinnenministerium auch die HDJ 2009 wegen ihrer „dem Nationalsozialismus wesensverwandten Ideologie“ und einer „aktiv-kämpferischen, aggressiven Grundhaltung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ verboten.

HDJ-Abteilungsleiter „Heimattreue Ausrüstung und Lagertechnik“

Beim Blick auf den Fall Kalbitz – der gut in der rechtsextremistischen Szene vernetzt und bis 2006 Fallschirmjäger bei der Bundeswehr war – fiel auch der Gauland-Mitarbeiter auf: Dieser war – offenbar gerade volljährig - 2003 bei der HDJ zum Leiter der Abteilung HALT – „Heimattreue Ausrüstung und Lagertechnik“ – ernannt worden. Mit der neuen Abteilung sollte die Beschaffung von Material und Ausrüstung für HDJ-Lager verbessert werden. Insgesamt war er von 1999 bis 2004 Mitglied der „Jugendorganisation“.

In einem Lebenslauf für eine Bewerbung aus dem Jahr 2013 taucht das freilich nicht auf. Dort ist für die spätere Zeit von Juli 2004 bis Juli 2006 eine Offiziersausbildung bei der Bundeswehr vermerkt. Die Angaben dazu sind undeutlich. Experten gehen davon aus, dass es sich vermutlich um einen Lehrgang zum Reserveoffizier handeln könnte – bei einem Fallschirmjäger-Bataillon. Offen bleibt, ob der Eintritt in die Bundewehr den Austritt aus der HDJ bedingte oder aus welchen Motiven dies erfolgte.

Bei der AfD-Fraktion in Brandenburg fand der Mann dann nach dem beendeten Studium eine Stelle als Referent. Im internen Telefonverzeichnis des Landtags war er seit Anfang 2015 als Mitarbeiter der AfD-Fraktion angegeben. Vermerkt wurde sein Name sonst aber nur selten.

Mitte 2015 veröffentlichte die Fraktion auf ihrer Facebook-Seite ein Foto von ihm. Dann tauchte er noch in einem internen Protokoll des Sonderausschusses zum Flughafen BER vom Juli 2016 auf: Er war für die AfD bei einer „Vorbesprechung auf Referenten- und Mitarbeiterebene“ des Ausschusses

Der baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Bernd Gögel, der heute Fraktionschef ist, berichtete im August 2016 bei Facebook von einem Treffen mit Politikern der AfD aus den Landtagen Sachsen, Baden-Württemberg, Thüringen – und Brandenburg. Die AfD-Landtagsfraktion aus Potsdam war vertreten „durch den Referenten …“, heißt es in dem Bericht. Dieser habe über die Lage in Brandenburg mit einer „sehr detaillierten Präsentation“ berichtet - das ganze Programm.

Vom Landtag in den Bundestag

Am 30. Oktober 2017 war dann Schluss für ihn im Landtag. Für diesen Tag ist die Abmeldung vom IT-System registriert. Stattdessen taucht derselbe Mann dann im Januar im Telefonverzeichnis des Bundestages als einer von vier Mitarbeitern des Abgeordneten Gauland auf. Auch Brandenburger AfD-Politiker bestätigen den Wechsel in den Bundestag. Doch die AfD-Fraktion dort will davon nichts wissen und blockt ab. Zunächst blieb eine Tagesspiegel-Anfrage vom 7. März unbeantwortet. Erst nach weiteren Nachfragen kam fast eine Woche später, am 13. März, eine knappe Antwort: „Herr …ist kein Mitarbeiter von Herrn Gauland.“

Ob Gauland von der HDJ-Vergangenheit wusste? Dazu kein Wort. Eine Nachfrage mit dem Hinweis auf das Telefonverzeichnis des Bundestages blieb unbeantwortet. Auch ein Anruf in Gaulands Büro half nicht weiter. Eine Mitarbeiterin, die schon im Potsdamer Landtag für ihn tätig war, sagte: Herr ….. sei nicht im Gauland-Büro tätig. Und er sei es schon eine ganze Weile nicht mehr.

Mehr als eine Woche nach der ersten Tagesspiegel-Anfrage taucht der Mitarbeiter auch auf den Türschildern des Abgeordnetenbüros von Gauland nicht mehr auf. Aber warum steht der Mann dann im Telefonverzeichnis? Selbst in der neuesten Version, Stand März, zuletzt am Freitag, steht der Name entgegen der Äußerungen der AfD-Fraktion. Versteckspiel oder Irrtum?

Gauland stört sich nicht an den HDJ-Kontakten

Aus den anderen Bundestagsfraktionen heißt es, das Verzeichnis werde von der Bundestagsverwaltung auf Grundlage der Mitarbeiterdaten der Abgeordneten erstellt. Nur wer Mitarbeiter eines Abgeordneten ist und auf der Gehaltsliste steht, komme automatisch in das interne Telefonbuch. Das zuständige Referat der Bundestagsverwaltung muss also beim Routineabgleich der Daten auch in als Mitarbeiter von Gauland in das Telefonbuch des Bundestages – Stand 16. März – weiter eingetragen haben. Und eine andere Fraktion machte für den Tagesspiegel einen Test: Ein Abgeordnetenmitarbeiter verließ kürzlich diese Fraktion, aus dem Telefonverzeichnis war er binnen kürzester Zeit gestrichen.

Damit steht fest: Ausgerechnet im direkten Umfeld von Alexander Gauland, dem Co-Parteichef und Co-Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, könnte offenbar ein früheres Mitglied einer knallharten Neonazi-Truppe seit Jahren aktiv und nach dem Stand der Dinge zumindest bis vor Kurzem immer noch gewesen sein.

Kein Wunder, dass Gauland sich auch nicht an den früheren Kontakten seines Brandenburger Parteifreundes Kalbitz zur HDJ stört. Der „Märkischen Allgemeinen“ sagte er dazu kürzlich: „Ich finde den Bohei, der darum gemacht wird, absolut lächerlich.“ Das Ganze sei „uninteressant“ und: „Ich verstehe auch nichts davon.“

Andreas Kalbitz, über Jahre Gaulands rechte Hand und Vize im Landtag, will jedenfalls von der HDJ-Vergangenheit des Mitarbeiters nichts gewusst haben, wie er dem Tagesspiegel sagte. Erst jetzt habe er davon erfahren. Und wenn er vorher davon gewusst hätte, wären seine Chancen auf einen Job bei der AfD-Fraktion gegen null gegangen..

Weitere HDJ-Mitglieder mit AfD-Funktion

Überprüfen lässt sich das alles nicht. Eine Kontaktaufnahme zu dem Mann scheiterte. Mitglieder der AfD-Fraktion im Landtag beschreiben ihn als herzensguten, ruhigen Menschen, als einen, der für die Fraktion viel und ihr gutgetan habe. Jedenfalls mehr als der „rebellische“ Nachwuchs, also junge Mitarbeiter, die in der Vergangenheit bei Aktionen der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften „Identitäten Bewegung“ auffielen. Und von denen einer sogar Grundsatzreferent ist.

Zweifel an Kalbitz' angeblicher Unkenntnis sind angebracht. Nicht nur wegen seiner eigenen Vergangenheit in rechtsextremistischen und völkischen Kreisen. Auch weil Gaulands Mitarbeiter nicht der Einzige ist: Andere frühere HDJ-Funktionäre haben ebenso bei der AfD einen Job, etwa sein Bruder. Der war 2002 kurzzeitig Bundesführer der HDJ und lange Jahre Vize-Chef. (Mit Marion Kaufmann)

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