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AfD-Chef im Interview: Gauland: AfD ist mehr als ein "Vogelschiss" in der Geschichte

AfD-Chef Gauland plant, mit Blick auf sein Alter, lieber kurzfristig. Mit dem, was er erreicht hat, ist der frühere CDU-Staatssekretär zufrieden. Zu denen, die ihn stören, gehört immer noch Frauke Petry.

Berlin - Alexander Gauland (77) ist als Partei- und Fraktionschef die zentrale Figur der AfD. Er spricht gerne über die Geschichte der Deutschen. Doch hinter seinem Schreibtisch im Bundestag hängt das Bild eines Franzosen. Außenminister Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754-1838) verfügte über großes strategisches Gespür und Geschick, galt einigen seiner Zeitgenossen aber als Opportunist und Wendehals. Ein Interview in einem Büro ohne Computer-Surren und Smartphone-Piepsen:

Herr Gauland, ist der Asylstreit in der Union für die AfD gut oder schlecht – und hat sie das unerwartet getroffen?

Ich hätte mir nicht vorgestellt, dass sie so aneinandergeraten. Aber wenn ich mir die Umfrageergebnisse für die bayerischen Landtagswahlen anschaue, dann muss Bundesinnenminister Horst Seehofer in der Tat etwas liefern.

Sie meinen nicht, dass es reichen könnte, wenn Bayerns Ministerpräsident Markus Söder liefert?

Nein, das reicht nicht. Und zwar weil die Zurückweisung an der Grenze jetzt zu einer Grundsatzfrage geworden ist.

Ist Ihr Eindruck, dass Seehofer auch ein bisschen ein Getriebener ist?

Seine Macht hängt als Parteivorsitzender genauso wie die des Ministerpräsidenten an der absoluten Mehrheit der CSU im Landtag. Wenn sie das vergeigen, dann sind beide ganz schnell weg vom Fenster.

Der bayerische Landesverband gilt ja als heillos zerstritten und hat es deshalb noch nicht einmal geschafft einen Spitzenkandidaten aufzustellen. Bedrückt Sie das?

Nein, weil in Bayern andere Regeln gelten. Da sind die Bezirksverbände sehr stark. Von daher sehe ich das nicht als Problem an.

Die AfD spricht im Bundestag immer über Flüchtlinge, selbst wenn es um Treibhausgase geht. Finden Sie das nicht etwas übertrieben?

Also, ob wir immer alles richtig machen, das weiß ich auch nicht. Aber das ist ja das Thema, das die Menschen am meisten umtreibt. Das ist das Thema, mit dem wir Wähler gewinnen können und müssen. Insofern ist das richtig, immer wieder auf dieses Thema zurückzukommen. Doch es muss natürlich geschickt und passend sein.

Die Fraktion hat ja beschlossen, dass sie den Fraktionsvorstand 2019 neu wählen möchte. Werden Sie wieder für den Vorsitz kandidieren – und wenn ja, dann wieder zusammen mit der jetzigen Co-Vorsitzenden Alice Weidel?

Das kann ich heute nicht beantworten. Das beantworte ich dann, wenn es soweit ist. Sie kennen mein Alter. Und da stelle ich mir die Frage nicht ein Jahr vorher, sondern stelle sie mir, wenn sie ansteht, abhängig davon, wie dann mein Gesundheitszustand ist. Aber wenn, dann kandidiere ich wieder zusammen mit Frau Weidel.

Wie sieht denn Ihre Strategie für die Wahl in Sachsen 2019 aus, wo sie ja sowohl gegen die CDU als auch gegen die Blaue Partei der früheren AfD-Vorsitzenden Frauke Petry Wahlkampf machen müssen?

Ich höre, dass Petry vielleicht eine Chance hat, ein Ergebnis um die fünf Prozent herum zu erreichen. Ja, das schadet uns. Und ich habe immer den Verdacht gehabt, dass die CDU in Sachsen versucht, Frauke Petry über die Fünf-Prozent-Hürde zu hieven, um für den Fall, dass sie selbst viele Stimmen verliert, jemanden zu haben, der handzahm, vielleicht für irgendeinen politischen Posten, die Mehrheit beschafft.

Ein Mensch, der die AfD ablehnt, hat ihnen neulich beim Baden in einem See in Potsdam die Kleider geklaut und den Hausschlüssel. Wie haben Sie reagiert und hat sich dadurch für Sie etwas verändert?

Das sind irgendwelche jungen Leute gewesen, die gerufen haben, "für Nazis gibt es hier keine Badestelle". Aber ich habe das alles nicht mitbekommen, denn ich war da noch im Wasser. Das haben mir nur andere Besucher der Badestelle erzählt, die dann auch die Polizei geholt haben. Als ich dann herauskam aus dem See, war die Polizei da.

Finden sie das bedrohlich?

Ich wohne in einem Mietshaus. Da musste wegen des Diebstahls des Schlüssels die komplette Schließanlage ausgetauscht werden. Ich gehe aber immer noch baden.

Sagen Sie, ist das eine Ersatz-Hundekrawatte, die sie da tragen?

Ja, die ist aus Seide. Die ist mir geschenkt worden vom brandenburgischen Landesverband. Und meine Mitarbeiter haben mir erzählt, dass es die jetzt im Internet gibt. Ich hatte ja vorher nur eine aus Kunstfaser. Die hatte ich vor vielen Jahren in Sussex gekauft, sozusagen im Vorbeigehen. Ich hatte dort nur angehalten, um einen Kaffee zu trinken.

Was würden Sie sagen. Machtmensch oder Stratege, was trifft eher auf Sie zu?

Beides passt nicht. Und beurteilen sollen mich die Anderen.

Sie standen, als Sie noch Mitglied der CDU waren, immer in der zweiten Reihe. In der AfD stehen Sie jetzt auf Platz eins in Partei und Fraktion. Liegt Ihnen das?

Ich habe angefangen als Beamter. Damit zeigt man ja schon, dass man natürlich in der zweiten oder dritten Reihe steht. Ich habe in Frankfurt als Leiter des Büros des Oberbürgermeisters eine wichtige Rolle gespielt. Das hat mir völlig ausgereicht. Ich wollte nicht in die erste Reihe. Das wollte ich ja auch nicht bewusst in der AfD. Denn auch in der AfD habe ich angefangen als stellvertretender Vorsitzender. Das erste Mal, als sich das geändert hat, das war, als ich Spitzenkandidat in Brandenburg wurde, weil es niemanden sonst gab und wir dann auch ein ganz gutes Ergebnis hatten. Und danach hat sich das entwickelt. Also ich habe mich nicht entschieden: jetzt gehe ich in die erste Reihe.

Und jetzt, wo Sie da stehen, fühlen Sie sich wohl?

Es gibt negative Seiten. Man kann kaum noch irgendwo an der Ecke sitzen und etwas essen. Entweder kommen Leute und wollen einem unbedingt die Hand drücken oder es kommen Leute, die unbedingt sagen wollen, wie fürchterlich sie das finden, was man macht. Das macht es schwierig, sozusagen noch ein einigermaßen normales Leben zu führen. Das hatte ich mir nicht ganz so schlimm vorgestellt.

Sie waren ja neulich als Redner bei einer Veranstaltung der Jungen Alternative. Was sagen Sie dazu, dass dort die verpönte erste Strophe des Deutschlandliedes gesungen wurde?

Da war ich nicht mehr dabei. Auch Jörg Meuthen, Andreas Kalbitz und Björn Höcke waren da schon abgereist. Ich bin persönlich nicht gegen die erste Strophe, die 1843 keine nationale Überhöhung, sondern die geografische Ausdehnung Deutschlands benannte. Ich weiß, dass die auch von einigen Burschenschaften gesungen wird. Aber ich halte es in einer politischen Versammlung für falsch, sie zu singen. Ich halte aber auch die Begleitumstände, also dass man sich darüber hinterher auch noch streitet in der Partei, für völlig unpassend.

Sie haben gesagt, sie wollten die Grenzen des Sagbaren in der Politik verschieben. Ist Ihnen das gelungen?

Ja, wir haben dafür gesorgt, dass über das Thema der Massenmigration gesprochen wird. Da hat sich inzwischen viel verändert, wenn Herr Söder sagt, dass der Asyl-Tourismus zu Ende gehen muss oder wenn Herr Dobrindt von der Anti-Abschiebe-Industrie spricht. Vor zwei Jahren wären solche Formulierungen, wenn sie von uns gekommen wären, als rechtsradikal und fremdenfeindlich verschrien worden.

Wollen Sie damit sagen, die CSU bediene sich sprachlich bei Ihnen?

Jedenfalls argumentiert die CSU in ihrem Streit mit Merkel zum Teil mit Begriffen, die sie von uns übernehmen. Und zwar weil ein großer Teil der Bevölkerung das so sieht.

Die AfD beschäftigt sich geradezu zwanghaft mit dem Verhältnis der Deutschen zu ihrer Vergangenheit. Gibt es in der nahen Zukunft keine Probleme, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten?

Ja, das kann man so sehen, wobei die Beschäftigung mit der Vergangenheit und der deutschen Identität natürlich wichtig ist, damit beschäftigen sich auch andere. Nur dass die anderen Parteien, vor allem die Grünen oder die Linke, da andere Schlussfolgerungen ziehen. Das ist bei allen Veranstaltungen mit jungen Leuten immer ein wichtiges Thema. Auch die Frage: Was ist denn aus unserer Geschichte noch brauchbar und was ist um jeden Preis zu verwerfen?

Was passiert auf dem Parteitag der AfD Ende des Monats in Augsburg, kommt da das immer noch ausstehende Rentenkonzept?

Ich weiß, dass Jörg Meuthen eine grundsätzliche Rede halten will zur Rentenfrage. Mir ist aber nicht bekannt, dass schon ein Rentenkonzept vorliegt, über das zu beschließen wäre. Das ist ein wichtiges Thema, aber keines, an dem die Partei sich zerreißt. Und über unsere Stiftung müssen wir reden.

Für Ihre Äußerung "Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahre erfolgreicher deutscher Geschichte" haben Sie viel Kritik geerntet, auch in der eigenen Partei und im Bundesvorstand. War das der missglückte Versuch volkstümlich zu wirken?

Nein, überhaupt nicht. Es war eine verachtungsvolle Metapher, die aber – und das hab ich nicht rechtzeitig erkannt – auch als Bagatellisierung verstanden werden kann.( …)Ich hatte nie vor, den Nationalsozialismus zu bagatellisieren. Und ich weiß auch, dass mit 50 Millionen Toten und sechs Millionen ermordeten Juden diese Metapher nicht die richtige war. Aber das, was man dann daraus gemacht hat, ist zum Teil absurd.

Glauben Sie, dass man in 70 Jahren einmal zurückblickt auf die Geschichte der Bundesrepublik und sagen wird: die AfD, das war vielleicht nur ein "Vogelschiss" in der Geschichte der Bundesrepublik?

Man kann Dinge nie voraussagen. Aber das glaube ich nicht. Ich glaube wir haben uns bereits fest etabliert und haben das Parteien- und Staatssystem der Bundesrepublik soweit verändert, dass man uns nicht mehr wegdenken kann aus der Bundesrepublik. Insofern glaube ich, dass die Metapher hier jedenfalls auch nicht stimmt. (dpa)

Zur Person: Alexander Gauland wurde 1941 in Chemnitz geboren. In Hessen studierte er Jura, Geschichte und Politik. Walter Wallmann wurde für Gauland eine Art Mentor. Er folgte dem CDU-Politiker in verschiedene Ämter und trat auch in die Partei ein. Von 1987 bis 1991 leitete er unter Ministerpräsident Wallmann die hessische Staatskanzlei. Nach der Wende wurde er in Potsdam Herausgeber der "Märkischen Allgemeinen Zeitung". Gauland wechselte aus Enttäuschung über den Kurs der CDU unter Angela Merkel 2013 in die AfD, zu deren Vorsitzenden er im Dezember 2017 gewählt wurde.

Anne-Béatrice Clasmann

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