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Kein Fressen, nirgends. Wegen der anhaltenden Trockenheit – daran ändern auch kurze Gewitter oder Regengüsse nichts – finden Störche kaum Nahrung in Brandenburg. Regenwürmer graben sich wegen der Hitze ganz tief in den Boden ein, Insekten gibt es immer weniger und schmackhafte Frösche leben woanders. Manch Vogeljunges überlebt das nicht.

© dpa / Pleul

Brandenburg: Adebar hat Hunger

Trockenheit, hohe Temperaturen, Starkregen und die Dünnhäutigkeit der Regenwürmer belasten den Nachwuchs der Störche. Ihre Jungen bekommen nicht genug zu fressen und verdursten. Naturschützer machen sich Sorgen

Von Sandra Dassler

Vetschau/Rangsdorf/Berlin - Nirgends ein angenehmer Landeplatz: Erst wurden sie von einem späten Wintereinbruch in Bulgarien überrascht, jetzt belastet die Brandenburger Störche eine Hitzewelle, die eher zu ihren Winterquartieren in Afrika passen würde als zum gemäßigten Mitteleuropa.

Doch was heißt schon gemäßigt? „In den vergangenen Jahren hatten wir auch schon extreme Wetterbedingungen“, sagt Bernd Ludwig aus Rangsdorf. „Und ich befürchte, dass es in diesem Jahr noch schlimmer wird.“ Bernd Ludwig – manche nennen ihn den „Storchenpapst“ – ist der Landeskoordinator für den Weißstorchschutz beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Die Sorge um den Fortbestand der Störche hat ihn zig Jahre lang begleitet, doch nie war sie so groß wie heute. Denn die nun schon mehrere Wochen anhaltende Trockenheit in diesem Frühjahr und Frühsommer bedroht nicht nur die Gesundheit der Menschen, die Unversehrtheit der Wälder und die Ernte. Viele Tiere leiden ebenfalls unter dem ausbleibenden Regen, der eine Kettenreaktion in Gang setzt.

Für den Storch beginnt sie mit der – im wahrsten Sinne des Wortes – Dünnhäutigkeit der Regenwürmer. „Die halten die Trockenheit in den oberen Erdschichten nicht aus und graben sich immer tiefer nach unten, so dass kein Storchenschnabel sie mehr erreichen kann“, sagt Bernd Ludwig. „Damit fehlt die wichtigste Nahrung für die Jungstörche, die in diesen Tagen geschlüpft sind.“ Größere Tiere wie Eidechsen und Ringelnattern, denen die Hitze nichts ausmacht, können die Storchenkinder aber noch nicht fressen. Die Grashüpfer sind noch zu klein und Frösche nicht angesagt.

Denn entgegen der weit verbreiteten Meinung fressen Störche nur sehr ungern Grünfrösche, die ja bekanntlich Wasserfrösche sind“, sagt Bernd Ludwig. „Sie bevorzugen Braun-, also Gras- und Moosfrösche, von denen es aber in Brandenburg nicht mehr viele gibt. Denn die brauchen Feuchtgebiete, um sich wohlzufühlen und fortzupflanzen – und solche Landstriche sind selten geworden.

Hinzu kommt, dass auch den Fröschen die Nahrung fehlt, sagt Bernd Ludwig: „Die Zahl der Insekten ist in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland um rund 75 Prozent zurückgegangen. Das hat in erster Linie mit dem intensiven Einsatz von Insektiziden und Pflanzenschutzmitteln zu tun. Diese Mittel haben auch der guten alten Feldmaus den Garaus gemacht.“ Deshalb finden die Storcheneltern nur sehr schlecht Nahrung für den Nachwuchs. Sie opfern, wie es derzeit schon vereinzelt beispielsweise im Storchendorf Rühstädt passiert – manchmal schon die schwächsten Küken und stoßen sie aus dem Nest. Dabei gehören Störche eigentlich zu den fürsorglichsten Tieren überhaupt. Immer nur ein Elternteil begibt sich in diesen Tagen auf Nahrungssuche, der andere bleibt im Nest und „beschattet“ die Kleinen mit seinem Gefieder. Und sogar Wasser „schleppen“ die Alten heran, transportieren es im Kropf, um es über dem Nest oder den Schnäbeln des Nachwuchses heraustropfen zu lassen.

In den vergangenen Jahren hat das alles nichts geholfen, beklagen Naturschützer wie Winfried Böhmer, der einst die berühmten „Internetstörche“ in Vetschau erfunden hat. Zwar hatte Brandenburg im vergangenen Jahr mit 1274 Brutpaaren immer noch den größten Storchenbestand in Deutschland, aber pro Paar wurden nur 1,5 Tiere aufgezogen. Das ist für den Erhalt der Population zu wenig. Selbst im besten jüngeren Storchenjahr 2014 kamen auf 1424 Brutpaare nur 1,8 Junge. Wird die Legende vom Menschenkinder bringenden Storch also von der Realität überholt, weil es bald keine Storchenbabys mehr gibt? Könnte durchaus sein, glauben viele ehrenamtliche Storchenbetreuer. Nicht nur die Hitze fordert Opfer. Durch Starkregen und Temperaturstürze kamen im vergangenen Jahr Hunderte Storchenkinder ums Leben, die so durchnässt wurden, dass sie „verklammten“, also auskühlten und starben. Aber auch ältere Störche leben gefährlich. Weil die Feldränder und Straßengräben im Gegensatz zu den Feldern nicht mehr mit Insektiziden behandelt werden, finden sie dort mehr Nahrung. Beim An- und Abflug auf den Straßenrand kollidieren sie nicht selten mit einem Auto. Helfen könne man den hungernden Störchen nicht, jedenfalls nicht direkt, sagt Bernd Ludwig. „Es gab Länder, die haben es mit Zufüttern versucht, aber damit nimmt man den Tieren die natürlichen Instinkte.“ Langfristig müsse man alles dafür tun, dass die Lebensräume erhalten bleiben, dass die Monokulturen verschwinden und die Pestizide, damit die Insekten und die Feuchtgebiete wiederkehren können.Wer als Haus- oder Gartenbesitzer etwas Gutes für die Natur tun will, sollte eine wilde blühende Sommerwiese säen statt englischem Zierrasen, das Ganze am besten umrahmt von Sträuchern und Hecken. Die dürften gern ein bisschen struppig sein, so dass kleine Tiere sich dort wohl fühlen und verstecken können, sagt auch Derk Ehlert, der Naturexperte und Wildtierbeauftragte des Berliner Senats. Im Gegensatz zu den Störchen könne man kleineren Vögeln oder auch Igeln über die trockenen Tage helfen, in dem man ihnen flache Schalen mit Wasser in den Garten, auf die Terrasse oder den Balkon stellt. „Allerdings sollten die Schalen täglich gereinigt und neu befüllt werden und an Orten stehen, an denen Vögel vor heranschleichenden Katzen sicher sind und wo sich keine Fensterscheiben oder andere spiegelnden Flächen in der Nähe befinden.“

Zum Glück gebe es in Berlin genügend Wasser, hier sei eher die Hitze vor allem für jene Vögel, die unter dem Dach brüten, das Problem, sagt Ehlert. „Da kann die Temperatur auch schon mal auf 50 Grad steigen, das halten die Kleinen nicht aus, wenn sie ihr Gefieder bekommen, und sie springen viel zu früh aus dem Nest. Das sollte auch jeder bedenken, der Nistkästen baut oder anbringt.“ Ehlert und andere Berliner Naturschützer befürchten auch, dass schon bald eine andere Tiergruppe vom extremen Wetter besonders betroffen sein wird: Weil der Starkregen auch Abwässer aus den Kanälen in Seen und Flüsse schwemmt, sinke dort der Sauerstoffgehalt und die Fische würden sterben. In den vergangenen Jahren war das so massiv geschehen, dass man über Vorhalteflächen nachgedacht hatte, wo das belastete Regenwasser versichern kann, bevor es in die Flüsse gelangt. Das ist zwar teuer, aber die Stadt wird auf Dauer nicht umhin können. Denn schon nach den starken Regenfällen der vergangenen Tage berichten Anwohner bereits wieder über viele tote Fische - beispielsweise im Spreekanal.

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