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Die Scheidende und die Neue. Die bisherige Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur im Land Brandenburg, Ulrike Poppe (l.), und ihre Amtsnachfolgerin Maria Nooke (r.).

© Bernd Settnik/dpa

Brandenburg: Abschied einer Bewegenden

Fast acht Jahre ist Ulrike Poppe Brandenburgs Diktaturbeauftragte gewesen Die Erste. Nun geht sie in Ruhestand. Aber etwas entsetzt sie in diesen Tagen

Potsdam - Sie tritt ab, mit leisen Tönen, so wie immer. Das ist typisch für diese Frau, die auf ihre Art in den letzten Jahren Brandenburg veränderte und nun in den Ruhestand geht. Ein paar Monate vorzeitig, aus gesundheitlichen Gründen. Am Montag gab Ulrike Poppe, 64 Jahre, Brandenburgs Diktaturbeauftragte, im Dienstsitz in der Potsdamer Hegelallee, ihre Abschlusspressekonferenz. Sie zog noch einmal Bilanz, abwägend, oft nachdenklich, immer differenzierend.

Und doch gab es einen Moment, an dem Poppe härter, resoluter antwortete, als es ihre Art ist. Wie erleben Sie es eigentlich, wenn in diesen Wahlkampftagen die Bundeskanzlerin auf Kundgebungen in Ostdeutschland als „Diktatorin“ beschimpft und ausgepfiffen wird, der Protestruf der Friedlichen Revolution „Wir sind das Volk“ skandiert wird? „Ich nehme das mit Entsetzen wahr“, antwortete Poppe. „Das zeigt mir, dass die das rufen, nicht wissen, was eine Diktatur ist.“ Vielleicht seien es Menschen, die sich in der DDR eher angepasst hatten, sie nicht als Diktatur empfunden haben. „Gemäß dem Slogan: Nur wer sich bewegt, der spürt auch die Fesseln.“

Am heutigen Dienstag wird Ulrike Poppe im Landtag feierlich verabschiedet, Marie Nooke als Nachfolgerin ins Amt eingeführt. Fast acht Jahre war die frühere DDR-Oppositionelle Poppe die erste Diktaturbeauftragte im Land. Über Parteigrenzen hinweg anerkannt, übte sie das Amt aus, das Brandenburg erst 2009 – im Zuge des Starts der ersten rot-roten Koalition im Land unter dem damaligen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) – geschaffen hatte. Zwei Jahrzehnte später als die anderen ostdeutschen Länder. Als Poppe anfing, galt Brandenburg immer noch als „kleine DDR“, in der Opfer von SED und Staatssicherheit kaum Gehör fanden. Und heute?

„Ich glaube schon, dass hier einiges in Bewegung geraten ist“, sagte Poppe am Montag. Und spricht von einer für sie überraschenden Erfahrung, die sie hier machte. Sie habe in der Politik, aber auch in der Bevölkerung Unterstützung erfahren, sich der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit zu stellen. Sie hatte den Rückenwind, Versäumtes nachzuholen, Neues aufzubauen: Es entstand ein eigenes Beratungssystem für Stasi-Opfer, für politisch Verfolgte, das es in Brandenburg vorher nicht gab. Bis dahin hatte der Berliner Diktaturbeauftragte in Brandenburg mobile Sprechstunden angeboten. „Das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagte Poppe. Dass der Bedarf da war, „und immer noch da ist“, zeige die Resonanz. „In den Anfangsjahren waren es 2000 Beratungskontakte pro Jahr, jetzt ist es etwas weniger.“

Die Fälle wandeln sich. Ging es damals vor allem um Einsicht in Stasi-Akten, um Anträge auf Rehabilitation, konzentrieren sich Nachfragen nach Worten von Poppe inzwischen auf „Aktenrecherchen aus anderen Quellen, um Verfolgung aus politischen Gründen zu belegen, oder auf Unterstützung bei Verfahren vor den Sozialgerichten“. Denn einst politisch Verfolgte haben es häufig nicht einfach. „Viele leben an der Armutsgrenze“, schildert Poppe. Dies liege daran, dass sie zu DDR-Zeiten oft ihre Berufe nicht ausüben konnten, keine Karriere machten oder Abschlüsse, was sich nun bei der Rente rächt. Für besonders schwierige Schicksale habe Brandenburg – einer Empfehlung der Enquete-Kommission zum SED-Unrecht im Land folgend – einen Härtefall-Fonds eingerichtet. In diesem Jahr stehen dort 50 000 Euro bereit. Eine besondere Genugtuung ist es für Poppe auch, dass es seit 2012 eine Anlaufstelle für ehemalige Heimkinder der DDR gibt, von denen viele Rat suchen. Inzwischen habe es 4000 Beratungsgespräche gegeben.

Und die kleine, noch junge Behörde, die 2009 mit sieben Mitarbeitern startete, ist inzwischen etabliert und auf 27 Mitarbeiter gewachsen. „18 arbeiten in Beratungsstellen“, sagte Poppe. Hatte sie es als späte Diktaturbeauftragte wegen der Versäumnisse in den Jahrzehnten vorher womöglich sogar leichter als Amtskollegen in anderen ostdeutschen Ländern, etwas durchzusetzen? „Ja, das stimmt“, sagte Poppe. Wenn sie berichtet, so war es auch auf dieser Pressekonferenz, geht es immer auch um die Gegenwart, etwa darum, Jugendlichen heute zu vermitteln, was das Leben in einer Diktatur bedeutete, „und zwar in neuen, zeitgemäßen Formen“. So etwa mit der Smartphone-App „Potsdam 1989, Orte der Friedlichen Revolution in Potsdam“. Wie erlebt sie die Generation ihrer Enkel, wenn sie an Schulen auftritt? „Nach meinen Erfahrungen ist das Wissen über die DDR nicht sehr ausgeprägt“, sagte Poppe. „Aber das Interesse der jungen Leute ist überall groß.“

Und dann, fast am Ende der Pressekonferenz, sprach Poppe selbst die „künftigen Aufgaben“ an. „Neben der Beratung setzen wir uns dafür ein, das Rehabilitierungsgesetz zu entfristen.“ Noch ende die Antragsfrist 2019. Doch erfahrungsgemäß sei es so: Menschen werde erst mit Eintritt in den Ruhestand bewusst, dass sie vielleicht wegen politischer Verfolgung Rentenpunkte, eine Haftentschädigung oder eine Opferrente erhalten könnten. Sie sei sich sicher, dass Maria Nooke, ihre vom Landtag gewählte Wunschnachfolgerin, dieses Anliegen weiter verfolgen werde. „Ich bin froh über meine Nachfolgerin, ich kann ihr eine hochmotivierte Mannschaft übergeben.“

Bleibt die Frage, was Poppe selbst vorhat, wenn sie ab 30. September im Ruhestand Zeit haben wird. Da lachte sie, blitzte Schalk durch. „Erst mal, glaube ich, lege ich mich in die Hängematte.“ Da ihr das sowieso niemand abnehmen würde, fügte sie hinzu: „Ich habe Pläne.“ Thorsten Metzner

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