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25 Jahre Dornröschenschlaf: Die Wünsdorfer Kaserne war einst Sitz der Sojwetarmee

Im August 1994 zogen die letzten sowjetischen Truppen ab, seither steht ihr früheres Quartier in Wünsdorf leer. Für Soldaten war dort ein „Fenster nach Europa“.

Potsdam/Moskau - Die übermannsgroße Skulptur des Revolutionsführers Lenin in der ehemals verbotenen Stadt in Wünsdorf (Teltow-Fläming) steht wie einst fest auf dem Sockel. Auf der damals größten Russen-Liegenschaft mit etwa 600 Hektar liegen Gegenwart und Vergangenheit dicht beieinander, bis 1994 war Wünsdorf Sitz der russischen Streitkräfte in Deutschland. Am 31. August 1994 verließ der letzte russische Soldat offiziell das Land, vor 25 Jahren.

In Brandenburg lag die Hälfte aller damals von den Russen genutzten Flächen: manche in den Städten, andere abgeschieden in Waldstücken auf dem Land, umzäunt von Betonmauern. Das Land hatte einst 538 Hektar der Wünsdorfer Fläche erworben. Weniger als die Hälfte davon gingen an private Investoren. Es entstanden Einfamilienhäuser, Firmen siedelten sich an und in sanierte Kasernengebäude zogen Landesbehörden ein.

Vom Schwimmbad bis zum Theater liegt alles brach

Doch der Rest des Areals, ein Teil davon denkmalgeschützte Gebäude, versank im Dornröschenschlaf. Ein Schwimmbad etwa ist seit zweieinhalb Jahrzehnten ungenutzt. Auch der Vorhang der Bühne in einem riesigen Saal hat sich seither nicht gehoben. Die Vermarktung dieser Flächen ist mehr als schwierig, auch wegen der Kosten, die aufgrund des Denkmalschutzes bei einer Sanierung entstehen würden. Auch Sanierungen und die Beseitigung von militärischen Altlasten sind vielerorts notwendig. „Diese ,dicken Brocken’ konfrontieren alle Akteure mit besonders schwierigen Herausforderungen“, sagt der Brandenburger Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD). Im dem Bundesland gab es allein 83 Kasernenkomplexe, 89 Wohngebiete, 19 Flugplätze sowie 45 Truppenübungs- und Schießplätze, die einst den Russen gehörten.

Die bislang nicht verwertete Fläche in Wünsdorf wird von einem Wachschutz gesichert. Der morbide Charme lockt Besucher an, auch ungebetene. „Wie von Zauberhand bewegen sich die Zeiger der großen Uhr an einem der Gebäude von Zeit zu Zeit, obwohl sie eigentlich nicht mehr funktioniert“, sagt Birgit Flügge von der Entwicklungsgesellschaft Waldstadt Wünsdorf/Zehrensdorf. Heute werden Foto-Touren durch diesen Teil angeboten.

Andernorts werden Kasernen schon genutzt

Ein ganz anderes Beispiel: Mit Heide-Süd entstand in Halle ein ganzer Stadtteil auf dem riesigen sanierten Gelände einer ehemaligen russischen Kaserne. Moderne Wissenschaftseinrichtungen siedelten dort an. In Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt Magdeburg wurde früheres Militärgelände zu einem bis heute beliebten Ausflugsziel: der Bundesgartenschau mit ihrem markanten Jahrtausendturm.

Inmitten der Mecklenburgischen Seenplatte liegt im abgelegenen Lärz ein ehemaliger Militärflugplatz. Die russischen Jagdflieger sind lange aus den Hangars verschwunden, doch lebt die Erinnerung daran auf besondere Weise weiter: Seit 1997 geht auf dem nördlichen Teil des Flugplatzes das Open-Air-Musikfestival „Fusion“ über die Bühne, vom Veranstalter Kulturkosmos Müritzsee meist in kyrillischen Buchstaben geschrieben. Angepriesen wird es als „Ferienkommunismus“ mit fast allen Freiheiten. 70 000 Besucher zählt das Kulturfestival jeden Sommer.

Wer heute in Weißrussland, der Ukraine und Russland oder anderen Ex-Sowjetrepubliken unterwegs ist, trifft immer wieder ehemalige Soldaten, die in der DDR gedient hatten. Bei vielen leuchten die Augen, mancher erzählt von der Liebe zu einer Deutschen. DDR-Nostalgie ist unter den früheren Sowjetsoldaten weit verbreitet. „Für uns waren die Kampfgruppen ein Fenster nach Europa“, heißt es im Online-Forum „11td.ru“ der einstigen 11. Panzerdivision in Dresden. Eine gute Zeit hätten sie dort gehabt. „Das warme Klima, die schönen Landschaften, gepflegte Städte und Dörfer.“

Die Rückkehr war für viele alles andere als der Start in ein besseres Leben. Weil Wohnungen fehlten, kamen viele Offiziersfamilien vorübergehend in Baracken oder nur in Zeltlagern unter. Groß ist bis heute der Unmut über Michail Gorbatschow. Der damalige Chef im Kreml vereinbarte mit Kanzler Helmut Kohl den Truppenabzug innerhalb von nur vier Jahren. Viele fanden, dass sie damals nicht als Sieger über den Hitlerfaschismus abzogen, sondern wie Verlierer. Sie kehrten heim in ein Land, das Mitte der 1990er Jahre im Chaos versank. Für den Abzug floss von Deutschland nach Russland eine Milliardensumme. Viele kritisieren bis heute, Russland habe sich nicht ausreichend entschädigen lassen für die aufgebaute Infrastruktur und die Grundstücke.

Die 1994 gegründete „Vereinigung der Veteranen der Kampfgruppen in Deutschland“ will an den glorreichen Ruhm von einst erinnern. Zur 25-Jahr-Feier der Gründung der Vereinigung im Februar teilte der frühere Kommandeur Anton Terentjew mit, dass die Aufgabe heute darin bestehe, die Jugend in Russland militär-patriotisch zu erziehen. Es gehe darum, die ruhmreiche Tradition der Truppen in Deutschland hochzuhalten. (dpa)

Gudrun Janicke

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