zum Hauptinhalt
Ein am Coronavirus erkrankter Intensivpatient wird bei einer Patientenverlegung in die Notaufnahme des Krankenhauses Siloah Klinikum Region Hannover (KRH) gebracht. 

© Julian Stratenschulte/dpa

Inzidenz jetzt höher als in Bayern: Brandenburg steuert auf neuen Lockdown zu

Die Lage an Kliniken in Brandenburg ist zunehmend kritisch. In Potsdam sind neue Corona-Rekordwerte gemeldet worden - und Standorte für erste Impfzentren stehen fest.

Potsdam/Brüssel - Die Corona-Notlage in Brandenburg spitzt sich erneut zu. Das Land hat mit seiner Sieben-Tage-Inzidenz jetzt den dritthöchsten Wert im Ländervergleich. Die Zahl neuer Ansteckungen je 100 000 Einwohner in einer Woche stieg auf 656. Damit zieht Brandenburg an Bayern vorbei. Nur in Sachsen (1075) und Thüringen (773) breitet sich das Virus schneller aus.

Die Lage in den Krankenhäusern ist zunehmend kritisch. In mehreren Kreisen sind nur noch wenige Intensivbetten frei, laut Divi-Intensivregister in Elbe-Elster und Märkisch-Oderland nur jeweils ein Bett. Landesweit gibt es aktuell noch 27 covidgeeignete freie Intensivbetten. 567 Covid-Patienten waren am Donnerstag landesweit in stationärer Behandlung, das sind 155 mehr als noch vor einer Woche.

Nach Einschätzung der Landeskrankenhausgesellschaft hat sich die Lage in den Kliniken bei der Versorgung von Covid-Patienten deutlich verschlechtert. „Es wird langsam dramatisch“, sagte der Geschäftsführer der Landeskrankenhausgesellschaft, Michael Jacob. Vor allem im Süden sei die Lage sehr ernst, dort kämen die Kliniken an die kritische Grenze bei der Patientenversorgung. 

Sondersitzung im Landtag

In einer Sondersitzung des Landtags am Donnerstag in Potsdam machten Politiker der Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen klar, dass Brandenburg auf einen erneuten Lockdown zusteuert. Grünen-Fraktionschef Benjamin Raschke sagte: „Wir werden mit diesen Maßnahmen – und das ist jetzt eindeutig klar – nicht durch die Pandemie kommen.“ Wenn das Infektionsgeschehen nicht eingedämmt werden könne, sei „ein vollständiger Lockdown in fast allen Lebensbereichen unvermeidlich“, so SPD-Fraktionschef Daniel Keller. Auch CDU-Fraktionschef Jan Redmann ist sich „nicht sicher“, ob die Maßnahmen reichen. „Wir müssen jetzt das öffentliche Leben herunterfahren“, sagte der Linke-Abgeordnete Andreas Büttner, früher Gesundheitsstaatssekretär. AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt sprach von Hetze gegen Ungeimpfte und verglich die Regeln mit der rassistischen Apartheid. Keller wies den Vergleich als „Unding“ zurück.

Präsenzpflicht an Schulen wird ausgesetzt

Eltern in Brandenburg können ab Montag selbst entscheiden, ob sie ihr Kind zur Schule schicken. Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) hob die Präsenzpflicht für einige Klassenstufen auf; weiter zur Schule gehen müssen die Klassenstufen 6, 9, 10, 11, 12 und 13 sowie Schüler an Oberstufenzentren, weil diese Jahrgänge bei „Übergängen oder Abschlüssen eine besondere Bedeutung“ hätten. Das Fernbleiben wird laut Ernst als entschuldigte Fehltage auf dem Zeugnis vermerkt. „Anspruch auf Distanzunterricht“ gebe es nicht. Die Linken warfen Ernst vor, in zwei Jahren Pandemie keine Schutzvorkehrungen getroffen zu haben. „Sie lassen es wissentlich zu, dass wir eine Durchseuchung unserer Kinder haben“, sagte Büttner.  So würden wichtige Maßnahmen verhindert oder zu spät umgesetzt, sei es die Maskenpflicht an den Grundschulen oder die schnelle Bewilligung von Luftfilterungsanlagen an den Schulen, hieß es weiter.

Impfstoff für Kinder

Unterdessen hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) den ersten Corona-Impfstoff für Kinder ab fünf Jahren freigegeben. Die Ständige Impfkommission (Stiko) will bis Ende Dezember eine Entscheidung treffen. In den USA haben bereits mindestens 2,6 Millionen Kinder unter zwölf Jahren eine Impfung erhalten, auch in Deutschland sind bereits mehr als 20.000 Kinder per Off-Label-Use geimpft.

"Wir haben keine Corona-Tests mehr!", steht auf einem Zettel an der Tür einer Apotheke in der Potsdamer Innenstadt.
"Wir haben keine Corona-Tests mehr!", steht auf einem Zettel an der Tür einer Apotheke in der Potsdamer Innenstadt.

© Monika Skolimowska/ dpa

Aufrufe zum Impfen

Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) warnte erneut eindringlich vor einer Überlastung der Krankenhäuser. Allein das Carl-Thiem-Klinikum in Cottbus müsse täglich zwischen sieben und neun neue Covid-Patienten aufnehmen, „der größte Teil ungeimpft“. Er appellierte an die Bürger, sich impfen zu lassen.

Die Nachfrage nach Impfstoff sei riesig, sagte Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne). Allerdings fehlen Impfmöglichkeiten, viele Arztpraxen sind überlaufen. Bis die 100 angekündigten Impfstellen hochgefahren sind, wird es aber offenbar dauern: In Potsdam sollen die zwei Zentren in der Metropolishalle in Babelsberg und der Schinkelhalle an der Schiffbauergasse spätestens Mitte Dezember öffnen, hieß es aus Rathauskreisen. Allein die Lieferdauer für Impfstoff liege derzeit bei bis zu 15 Tagen, hatte Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) bereits am Mittwochabend vor Stadtverordneten erklärt. Auch müssten die Hallen erst hergerichtet werden. Bei der Bundeswehr habe man bereits um Hilfe beim Impfen gebeten, sagte er.

Schlangen beim mobilen Impfen

Bei den mobilen Impfaktionen der Stadt hatte es in den vergangenen Tagen stets lange Schlangen gegeben, es mussten viele Impfwillige wieder nach Hause geschickt werden. „Die Nachfrage nach Corona-Schutzimpfungen ist sehr groß und übersteigt das Angebot deutlich“, so das Rathaus.

Auch bei einer Impfaktion der Stadt an der Arbeitsagentur am Horstweg am Donnerstag war das so. Stadtsprecherin Juliane Güldner erläuterte, bei den Impfangeboten würden nun anhand der Kapazitäten bei der jeweiligen Impfaktion in der Schlange Nummern ausgegeben. Die anderen Impfwilligen würden wieder nach Hause geschickt. Schon vor dem Start einer Impftour durch Kultureinrichtungen Brandenburgs sind demnach nach Angaben des Kulturministeriums auch die Termine für die erste Station am Samstag in der Waschhaus-Arena in Potsdam ausgebucht.

Menschen warten in einer Schlange vor einem Covid-Testzentrum in der Innenstadt.
Menschen warten in einer Schlange vor einem Covid-Testzentrum in der Innenstadt.

© Monika Skolimowska/ dpa

247 Neuinfektionen in Potsdam

Potsdam erlebte am Donnerstag mit 247 Infektionen den bisher höchsten Tagesanstieg seit Beginn der Pandemie - nach mehreren Tagen mit stagnierenden und sogar leicht gefallenen Corona-Zahlen. So ist auch die Sieben-Tage-Inzidenz in Potsdam am Donnerstag auf ein neues Rekordhoch geschnellt: auf nun 402 Fälle pro Woche, gerechnet auf 100 000 Einwohner. Dieser Wert lag 19 Prozent höher als am Vortag und 14 Prozent über dem der Vorwoche. Potsdams Werte bleiben aber deutlich unter der landesweiten Inzidenz.

In Potsdams Kliniken werden nach Angaben der Stadt derzeit 39 Corona-Patienten behandelt, davon zehn auf den Intensivstationen. Vor einer Woche ging es um 32 Patienten, davon acht schwere Fälle.

Zugangsbeschränkungen für die zahlreichen Eingänge in das Rathaus kündigte derweil Oberbürgermeister Schubert ebenso im Hauptausschuss an – weil die Stadtverwaltung als Arbeitgeber nun die 3G-Regel für ihre Angestellten kontrollieren müsse.

Gegen die für Ungeimpfte deutlich verschärften Regeln in Brandenburg demonstrierte am Donnerstagabend die AfD vor dem Landtag – einen Gegenprotest veranstalteten parallel linke Gruppen.
Seit Mittwoch gelten schärfere Regeln in Brandenburg mit einem weitgehenden Lockdown für Ungeimpfte. Die 2G-Regel mit Zutritt nur für Geimpfte und Genesene ist von Gaststätten, Theatern, Kinos und Freizeitbädern auf den Einzelhandel (mit Ausnahmen), Friseurläden und Sporthallen ausgedehnt. Weihnachtsmärkte sind zu. In Hotspots ab einer Inzidenz von 750 gibt es für Ungeimpfte Ausgangsbeschränkungen. Der Gesundheitsausschuss des Landtags billigte die neuen Regeln einen Tag nach dem Inkrafttreten mehrheitlich.

Schubert kritisiert Zeitpunkt für Weihnachtsmarkt-Aus

Zugleich kritisierte Schubert die Landesregierung für ihre aus seiner Sicht zu kurzfristigen Entscheidung zur Schließung aller Weihnachtsmärkte – der Potsdamer „Blaue Lichterglanz“ war deswegen nur zwei Tage geöffnet. Zwar könne er die Beweggründe für die Schließung nachvollziehen, so Schubert. Der späte Zeitpunkt sei allerdings schwierig. Daher halte er auch eine Debatte um Entschädigungen für die Händler für notwendig, so Schubert. Das Land hatte bisher nur allgemeine Corona-Hilfe angeboten. Aus Rathauskreisen hieß es, die Stadt habe den Veranstaltern des Weihnachtsmarkts zumindest die Beleuchtung der Brandenburger Straße finanziert, um für Entlastung zu sorgen. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false