Über Stock und Stein: Im Jeep Avenger e-Hybrid querfeldein und im Renegade auf Jubiläumstour
Auch ohne Allradantrieb erweist sich der Youngster der Jeep-Familie als Kletterkünstler. Kurze Strecken im Stadtverkehr bewältigt er sogar vollelektrisch.
Vor uns der Abgrund, 40 Prozent Gefälle, aber man sieht ihn nicht. Noch zeigt die Motorhaube gen Himmel, die letzten steilen Meter auf unbefestigter Holperpiste, immerhin 36 Prozent Steigung, wie ein Schild gewarnt hatte. Dann ist der Gipfelpunkt erreicht, der Wagen kippt ab, will scheinbar, von der Kletterei befreit, nach unten sausen, überlegt es sich aber sofort anders und zuckelt nun, so langsam wie er hinaufgekrochen ist, wieder in die Tiefe.
Willkommen im Centro Sperimentale Balocco, dem 75 Kilometer westlich von Mailand gelegenen, 1962 von Alfa-Romeo gegründeten und nun vom Automobilkonzern Stellantis genutzten Testzentrum. Pisten für alle nur denkbaren Prüfungen stehen dort zur Wahl und selbstverständlich auch fürs Fahren in schwerem Gelände – an diesem sonnigen Vorfrühlingstag Gelegenheit für den Jeep Avenger, seine Off-Road-Fähigkeiten zu beweisen. Die vermutlich ausgeprägter sind als die manchen Fahrers, der sich heute auf diesem Berg- und Talparcours versucht.
Doch dank der Technik gelingt die Fahrt über Stock und Stein auch Anfängern ohne Probleme. Ein Jeep-Instrukteur hat als Fahrmodus „Eco“ und als Untergrund „Mud“ eingestellt, zu sehr behutsamem Gasgeben und zum Verzicht aufs Bremsen geraten – den Rest macht der Wagen, vom Lenken abgesehen, praktisch alleine. Zieht uns beharrlich nach oben, hält das gemächliche Tempo nach unten, muckt nicht, als er von einer 45-Grad-Rampe in die Schräglage gezwungen wird und lässt bei der euphemistisch „Twist“ genannten Station mit ihren gegeneinander versetzten Bodenwellen mal dieses, mal jenes Rad in der Luft schweben, als wäre das normal.
Sicher, auf Werbevideos des Balocco-Testzentrums sieht man noch fiesere Off-Road-Schikanen, für die man vielleicht besser auf den Jeep Wrangler oder zumindest den Renegade umsteigen sollte. Aber für erste Erfahrungen im Gelände ist der Avenger ein sehr geeignetes Einsteigermodell, für Stadt- und Landpartien sowieso, wenn er über gewohnten Asphalt rollt – in diesem Fall übrigens angetrieben von e-Hybrid-Technik. Die gibt es für den Avenger neben den Versionen „Benziner“ und „vollelektrisch“ seit kurzem auch noch, alle drei mit Vorderradantrieb, eine Ausnahme in Jeeps traditionellem Allrad-Reich. Die Plug-in-Version soll demnächst folgen.
„e-Hybrid“ – so nennt der Hersteller eine verfeinerte Mild-Hydrid-Technik. Das ist ein kombinierter Antrieb aus einem 100 PS starken Drei-Zylinder-Benzinmotor, einem automatisierten, über Schaltwippen am Lenkrad auch manuell kontrollierbaren Sechs-Gang-Getriebe samt integriertem, knapp 29 PS starken E-Motor und einer 48-Volt-Lithium-Ionen-Batterie. Laden muss man sie nicht, das erledigt die Rekuperation, die Umwandlung von kinetischer in elektrische Energie beim Bremsen. Der E-Motor gibt dem Benziner im unteren Drehzahlbereich einen zusätzlichen Kick, sorgt für spurtstärkeren Start – das ist so üblich bei Mild-Hybrid-Antrieben. Der spezielle e-Hybrid aber erlaubt begrenzt sogar rein elektrisches Fahren, bei bis zu 30 km/h und auf einer Strecke von einem Kilometer.
Ein Einsteigermodell für E-Skeptiker
Das klingt bescheiden, soll aber besonders beim Einparken oder im städtischen Stop-and-go-Verkehr den Spritverbrauch um bis zu 15 Prozent gegenüber Verbrennermotoren mit traditionellem Automatikgetriebe senken. Und auf Verbrenner eingeschworenen Automobilisten zudem behutsam das elektrifizierte Fahren nahebringen. Auch hierin also ist der Avenger e-Hybrid ein Einsteigermodell, dazu dank moderater Maße wohl auch für SUV-Skeptiker akzeptabel.
Dazu hat der Wagen im aktuellen Modelljahr an möglichem Komfort gewonnen. So gibt es optional nun ein Glasschiebedach, sofern man das Off-Road- noch mit einem Open-Air-Feeling ergänzen möchte. Auch stehen für den Avenger e-Hybrid ein 7-Zoll-Kombiinstrument oder eines mit 10,25-Zoll großem Bildschirm zur Wahl, dazu zwei neue Connected-Services-Pakete, das größere etwa mit „Over-the-Air“-Kartenaktualisierungen, aktuellen Wetterdaten, der Lage von Tankstellen samt Spritpreisen und verfügbaren Parkplätzen am Zielort.
Aber bitte mit Leder!
Auch der Wunsch nach Ledersitzen kann nun mit dem „Lederpaket“ erfüllt werden. Das ist vielleicht nichts für vegan orientierte Menschen, die müssen dann eben auf den damit verbundenen, sechsfach elektrisch verstellbaren Fahrersitz mit Massagefunktion und zweifacher Lendenwirbelstütze wie auch auf den sechsfach manuell verstellbaren Beifahrersitz verzichten.
Selbst ohne den neuen e-Hybrid-Antrieb ist der Avenger der Youngster in der Jeep-Familie: Er wird erst seit vergangenem Jahr angeboten.
Den gleichfalls kompakten Renegade dagegen gibt es schon zehn Jahre, zum Jubiläum wurde er noch einmal aufgefrischt und das Ergebnis ebenfalls in Balocco vorgestellt. So hat man bei Infotainment und Konnektivität aufgerüstet, mit größerem 10,1-Zoll-Touchdisplay in höherer FullHD-Auflösung, fünfmal schnellerem Infotainmentsystem samt kabelloser Apple-Carplay- und Android-Auto-Anbindung. Per Sprachsteuerung können etwa Wetter, Parkplätze und Ladestationen entlang der Route erfragt werden, unterstützt vom Sprachassistenten Amazon Alexa. Und wer will, kann sogar über die Jeep-App das Fahrzeug öffnen und schließen oder das Licht anschalten.
Vollelektrisch oder als Verbrenner gibt es den Renegade nicht, dafür aber neben dem e-Hybrid auch als Plug-in-Hybrid. Bei beiden Versionen wurden Motor und Batterie verbessert, sodass mit den neuen 18-Zoll-Reifen der Klasse A+ Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen um bis zu fünf Prozent sinken sollen.
Nicht bei der Technik also, aber doch im Design ist der Altersunterschied der zwei Jeep-Modelle leicht erkennbar, man setze sich nur mal hinters Lenkrad. Im Avenger wird das Automatikgetriebe über eine moderne, irgendwie urbane Eleganz ausstrahlende Schalterleiste im vorderen Teil der Mittelkonsole angewählt, im Renegade dagegen erinnert der Wahlhebel an einen alten Schaltknüppel, sodass man sich anfangs kurz fragt, ob man tatsächlich in einem Automatikauto sitzt.
Das ist sicher so gewollt, passt es doch gut zum gesamten, Robustheit suggerierenden und erdverbundene Jeep-Traditionen pflegenden Innendesign. Zumal das Fahrgefühl eher dem in einem ruppigen Geländewagen als dem in einem soften Stadtmobil ähnelt.
Dazu passen auch die Rücklichter mit ihrem unveränderten X-Design in das Off-Road-Image des Wagens, indem es an die x-fömigen, der Stabilisierung dienenden Vertiefungen in Spritkanistern erinnert. Diese zierten gerne das Heck von Geländewagen auf Safari-Tour, ein im Stadtverkehr aus der Mode gekommener und nicht mal von Jeep gepflegter Brauch.
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