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IM ARCHIV: Papiere zum Massenmord

Das Lepsius-Archiv an der Uni Halle soll nach Potsdam kommen – es beherbergt politischen Sprengstoff in Buchform

IM ARCHIVDas Lepsius-Archiv an der Uni Halle soll nach Potsdam kommen – es beherbergt politischen Sprengstoff in Buchform Von Henri Kramer Bücher, Bücher, unüberschaubar viele Bücher. Hermann Goltz kommt kurz ins Stocken beim Nachdenken darüber, wie viele Bücher sich genau im Johannes Lepsius-Archiv an der Martin-Luther-Universität in Halle befinden. So muss der Professor an der theologischen Fakultät schätzen: „Um die 20 000 Bände...“ Mindestens zwei Lieferwagen werden nötig sein, wenn das Lepsius-Archiv im Frühjahr 2006 zusammen mit seinem Leiter Hermann Goltz ins Lepsius-Geburtshaus in die Große Weinmeisterstraße ziehen soll. Goltz sagt: „Es soll ein Ort des Gedenkens, der Begegnung und der Forschung werden, um den Völkermord an den Armeniern im Osmanisch-Türkischen Reich historisch weiter aufzuarbeiten.“ Die Bücher und Schriften aus Halle sollen dabei den Kern der Gedenkstätte bilden. So findet sich in dem Archiv die seltene Originalausgabe des „Berichts über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei“, in dem Lepsius zum ersten Mal Details über den Genozid in Deutschland öffentlich bekannt machte, bei dem zwischen 1915 und 1917 über eine Million Menschen umgebracht wurden. 20000 Exemplare des Buchs konnte Lepsius versenden, bevor seine Schrift von der deutschen Militärzensur verboten wurde. „Da Deutschland und das Osmanische Reich im 1. Weltkrieg zusammen kämpften, sollte der Völkermord nicht thematisiert werden“, erklärt Goltz. Ebenso ist im Lepsius-Archiv das 1919 erschienene Buch „Der Todesgang des armenischen Volkes“ enthalten, das wegen politischer Bedenken erst nicht gedruckt werden konnte. Schließlich trauten sich die Druckereien der jüdischen Firma Imberg & Lefson in Babelsberg und der christlichen Zeitung „Der Reichsbote“ in Berlin das Buch herzustellen. „Den großen Verlagen der Zeit war das Thema zu heiß, niemand wollte Lepsius drucken“, sagt Goltz. Neben diesen beiden auch heute wissenschaftlich unentbehrlichen Veröffentlichungen stehen im Lepsius-Archiv 13 Zeitschriften-Serien aus der Feder des Orientalisten, aber auch Folgeliteratur wie die Romane von Franz Werfel, in denen die Lepsius-Dokumentationen als historische Quellen verwendet sind: Alle Werke in verschiedenen Ausgaben verschiedener Länder in verschiedenen Sprachen. „Es kommt immer noch neues Material dazu, weil das Thema vor dem Hintergrund eines möglichen EU-Beitritts der Türkei aktuell bleibt“, sagt Goltz. Für den Archivleiter selbst ist der Umzug nach Potsdam die Rückkehr an die alte Wirkungsstätte, hier begann seine Passion für die Arbeit von Lepsius. „1976 lernte ich die damals 71-jährige Lepsius-Tochter Veronika kennen.“ An der Geschichte des Vorderen Orients und Osteuropas war Goltz schon damals interessiert, der Völkermord an den Armeniern wurde bald sein wichtigstes Forschungsfeld, obwohl das Thema sowohl in der DDR als auch in der BRD zu den Tabus der Geschichtsschreibung gehörte, wie er sich erinnert. „Die Türkei war im Kalten Krieg für Sowjetunion wie für das westliche Bündnis ein wichtiger Partner, den niemand verärgern wollte“, so Goltz. In Potsdam soll die Analyse des großen Verbrechens weitergehen, auch gegen den Druck der Türkei. So bezeichnete der türkische Botschafter das geplante Lepsius-Zentrum schon 2000 als eine angebliche „armenische Propaganda- und Terrorzentrale.“ Hermann Goltz will weiter sammeln, hofft, dass sich auch die Potsdamer Universität an der Forschung beteiligt. „In nicht allzu langer Zeit wird sich die Türkei zu ihrer historischen Verantwortung bekennen müssen.“ Die Studien, um den Genozid mit weiteren Fakten zu belegen, werden jedoch auch in Potsdam nicht mit den Originalen geschehen können: Jede Seite steht im Lepsius-Archiv nur als Kopie zur Verfügung, wie bei wertvollen Schriften üblich. Goltz spricht aber auch von Sicherheitsinteressen: „Die Originale werden wie hier in Halle an einem sicheren Ort verwahrt, denn natürlich gibt es Menschen, die nicht traurig wären, wenn diese Dokumente brennen würden.“ Das Lepsius-Archiv steht voller Originaldokumente, die sich mit dem Völkermord an den Armeniern und seinen Folgen befassen. So gibt es den stenographischer Bericht „Der Prozeß Talaat Pascha“ (Bild oben) von 1921, in dem die Verhandlung zur Ermordung von Talaat Bey geschildet wird, der als osmanischer Innenminister für den Genozid verantwortlich war und aus Rache von einem Studenten getötet wurde. Die Bücherreihen (Bild Mitte) des Archivs beinhalten aber auch Folgeliteratur wie „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ (Bild unten) von Franz Werfel in verschiedenen Sprachen und Ausgaben.

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